Analyse Die Gräuel von Aleppo überschatten Gipfel in Brüssel
Brüssel (dpa) - Diesmal sollte alles ganz schnell gehen, doch dann kam etwas dazwischen. Der EU-Gipfel in Brüssel wollte sich vor allem mit der Migration, der Türkei, mit der Verteidigungspolitik und natürlich mit dem Brexit befassen, aber die Tragödie von Aleppo ließ sich an diesem Tag nicht ausblenden.
Im Gegenteil: Brita Hagi Hasan, Bürgermeister im zerstörten Osten der Stadt, durfte vor den 28 Staats- und Regierungschefs sprechen. Ein in der Geschichte der EU wohl einzigartiger Vorgang. Eigentlich sollte er nur mit Ratspräsident Donald Tusk zusammenkommen.
Nach dem Treffen sollen Teilnehmer erschüttert gewesen sein, obwohl doch eigentlich alles bekannt war über die dramatische Lage in der syrischen Stadt. Viele Tausend Zivilisten seien „kurz davor, massakriert zu werden“, mahnte der Bürgermeister und flehte um Hilfe und die Einrichtung von Versorgungskorridoren. Das Thema war damit ganz oben auf der Tagesordnung.
Dabei hatte Kanzlerin Angela Merkel die Gräuel von Aleppo nicht einmal erwähnt, als sie beim Eintreffen die wichtigsten Punkte des Gipfels zusammenfasste. Frankreichs Präsident François Hollande war da schon klarer. Nötig seien die Rettung möglichst vieler Zivilisten aus Aleppo, der Zugang zu der zerstörten Stadt und eine Waffenruhe, sagte er.
„Wenn sich die 28 noch nicht einmal auf etwas so Grundlegendes einigen könnten, nämlich die Zivilbevölkerung zu retten, (...) wozu sollte dann ein Europa der 28 noch gut sein?“, fragte Hollande. „Europa muss seine Stimme erheben.“ Aber wie? Ein militärisches Engagement ist komplett ausgeschlossen, da mag die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik noch so schnelle Fortschritte machen.
Merkel konzentrierte sich auf ein anderes drängendes Thema. Gemeinsam mit Hollande und den Regierungschefs aus Italien und Spanien, Paolo Gentiloni und Manuel Rajoy, traf sie Mahamadou Issoufou, den Präsidenten Nigers. Das Land steht als Beispiel für die von der EU angestrebte „Migrationspartnerschaft“ mit Ländern Afrikas. Flüchtlingsströme möglichst dauerhaft zu reduzieren, das ist Merkels großes Ziel, es wird auch über ihren Erfolg oder Misserfolg bei der Bundestagswahl 2017 entscheiden.
Wie sich die EU die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten vorstellt, dafür ist Niger ein Aushängeschild. Viele Menschen, die auf dem Weg nach Europa sind, kommen durch das nordwestafrikanische Land. Die Regierung geht nach EU-Angaben entschieden gegen Schleuser vor. Die Zahlen der Menschen, die dort die Sahara durchqueren, ist von Mai bis November drastisch gesunken. Unerträglich sei es, wie viele Migranten in der Wüste oder auf dem Mittelmeer sterben, sagt der Präsident. „Niger ist entschlossen, seinen Teil beizutragen, dass diese Leiden ein Ende finden.“
Die Europäische Union zeigt sich erkenntlich: 609,9 Millionen Euro sagt sie dem Land zu. Das Geld soll in den Kampf gegen Menschenschmuggel fließen, aber auch in die Verbesserung staatlicher Strukturen, in Bildung, Ernährungssicherheit und Verkehrswege.
Länder, die sich unkooperativ zeigen, müssen hingegen befürchten, bei Investitionen oder der Vergabe von Entwicklungsgeldern künftig schlechter wegzukommen. Die Migrationspartnerschaften, die die EU mit afrikanischen Staaten vorantreiben will, funktionieren nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche.
Politiker in Österreich, Italien, Ungarn und zum Teil auch in Deutschland können sich auch weitere Schritte vorstellen. Diskutiert wird, Flüchtlingslager jenseits der europäischen Grenzen einzurichten. Statt sich mit Hilfe von Schleppern nach Europa durchzuschlagen, sollten Schutzsuchende schon dort Asylanträge stellen. Dann wäre die Migration endlich unter Kontrolle, so die Hoffnung. Soweit ist es längst noch nicht. Das Thema wird auch nach dem Vorweihnachts-Gipfel nicht verschwinden, auch aus der deutschen Innenpolitik nicht.