Die hartnäckige Arbeit von Netzpolitik
Berlin (dpa) - Wer sich auf den Weg ins Büro von Netzpolitik.org macht, sieht ganz in der Nähe den Berliner Fernsehturm über die Häuser ragen. Die Reichstagskuppel des Regierungsviertels ist weit weg.
Und doch sind die Blogger nah dran an der Politik, wenn es um ihr Thema geht: das Internet und die Rechte von Nutzern und Bürgern.
Bei Netzpolitik.org sind nicht einmal eine Handvoll Journalisten fest angestellt, in Vollzeit schreiben nur Gründer Markus Beckedahl und André Meister. In der Büroküche stehen meist Mate-Flaschen, das koffeinhaltige Lieblingsgetränk der Hacker-Szene. Ebenfalls Hacker-typisch sind die vielen Sticker, die die weißen Ikea-Regale zieren. Sie stammen von Bürgerrechtsgruppen und Netzaktivisten, wenden sich gegen Netzsperren und Überwachung. In dieser Gemeinschaft sind die Journalisten eng vernetzt.
Wer das Blog aber auf die wenigen Vollzeit-Mitarbeiter oder das kleine Büro reduziert, unterschätzt den Einfluss von Netzpolitik.org. Wenn man sich für das Internet interessiert, führt in Deutschland kaum ein Weg an ihm vorbei. Die Journalisten berichten über Datenschutz, Urheberrecht, Überwachung und die Arbeit der Geheimdienste im Netz.
Doch so viel Aufregung wie am Freitag ist ein Ausnahmefall. Am Abend zuvor machte Netzpolitik öffentlich, dass der Generalbundesanwalt gegen zwei Journalisten des Blogs ermittelt. Der Vorwurf: Landesverrat. Ein schockierender Vorgang für viele Beobachter. Das letzte Mal, als dieser Vorwurf für großen Wirbel sorgte, war 1962. Damals ging es um den „Spiegel“. Das Magazin hat eine Redaktion mit Hunderten Journalisten. Nun trifft es Netzpolitik, ein kleines Blog, das jahrelang hartnäckig über Themen berichtete, die erst seit Kurzem eine breite Öffentlichkeit interessieren. Eine Rechtsabteilung, wie viele große Medien, hat die Webseite nicht.
„Es ist erstmal ein leicht surreales Gefühl, zu erfahren, dass man womöglich ins Gefängnis kommt, weil man offengelegt hat, dass der Verfassungsschutz möglicherweise verfassungswidrig die Internet-Überwachung ausbaut“, sagt Netzpolitik-Gründer Beckedahl. Seine Mutter habe im Videotext gelesen, dass ihm lebenslange Haft drohe. Die Freiheitsstrafe liegt nicht unter einem Jahr. In besonders schweren Fällen kann sie sogar lebenslang oder nicht unter fünf Jahren betragen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll selbst Anzeige gegen die Blogger erstattet haben. Es geht vor allem um zwei Artikel über Pläne des Verfassungsschutzes. Der Inlandsgeheimdienst wolle das Internet und Online-Netzwerk stärker überwachen, berichteten die Blogger, und veröffentlichten dazu interne Unterlagen.
Die Empörung über die Ermittlungen ist groß - und ebenso die Unterstützung. Die Kontonummer der Webseite wurde online verbreitet, denn Netzpolitik finanziert sich größtenteils aus Spenden. Ideen für T-Shirts zur Unterstützung machten die Runde (Aufdruck: „Ein Abgrund von Landesverrat“). Die Webseite konnte den vielen Klicks kaum standhalten, in Zehntausenden Twitter-Nachrichten reagierten Nutzer oft wütend und entsetzt.
„Wir sind total glücklich über diese Solidarität“, sagt Beckedahl. „Das motiviert uns weiterzumachen und bestärkt uns, das Richtige getan zu haben.“ Außerdem gebe es so noch einmal Aufmerksamkeit für die Berichte.
Beckedahl muss jetzt einen Ansturm von Fragen anderer Journalisten bewältigen. „Wir müssen erstmal mit Juristen klären, wie wir uns verhalten.“ Doch der Netzpolitik-Gründer reagiert gefasst. Man werde sich nicht einschüchtern lassen, sagt er. Hart geht er mit der Bundesregierung ins Gericht, die sich trotz der Snowden-Enthüllungen nicht für eine bessere Kontrolle der Geheimdienste eingesetzt hat. Netzpolitik wolle eine Diskussion über die Pläne des Verfassungsschutzes anstoßen.
Beckedahl hofft nun, dass die Solidarität anhält. Für Samstag plant Netzpolitik gemeinsam mit Unterstützern eine Demonstration in Berlin.