Die letzten Tage in Kundus: „Wie eine Geisterstadt“
Kundus (dpa) - Die Container sind gepackt, die Feldpost hat geschlossen, die Rosen vertrocknen. Vor dem Abzug aus Kundus nehmen die deutschen Soldaten Abschied von ihren gefallenen Kameraden. Nun geht es darum, heil in die Heimat zu kommen.
Zu Hunderten sind die Soldaten zum Totengedenken im Feldlager Kundus gekommen. Schweigend stehen sie da, sie haben Kerzen oder rote Grablichter mitgebracht. „Manche von Euch hier haben das Sterben auch erlebt“, sagt Militärpfarrer Peter Schlechtendahl am Donnerstagabend. Zum letzten Mal nehmen die Soldaten in Kundus im Kreis ihrer Kameraden Abschied von den Gefallenen. Sie salutieren vor der Mauer mit den 20 Namensplaketten und stellen ihre Kerzen ab. Am Ende beleuchtet ein Lichtermeer den Ehrenhain.
In wenigen Tagen wird das Feldlager an die Afghanen übergeben werden, dann ist der Einsatz in Kundus offiziell beendet. Ende des Monats wird kein deutscher Soldat mehr in Kundus sein. Schon jetzt herrscht in weiten Teilen des Lagers, das einst fast aus den Nähten platze, gespenstische Leere. „Wie eine Geisterstadt“, sagt ein Soldat. Zu Hochzeiten waren hier mehr als 1400 deutsche Soldaten stationiert, jetzt sind es noch 900, Tendenz stark sinkend.
Afghanische Sicherheitskräfte werden das Feldlager übernehmen, das einst mit deutscher Gründlichkeit erbaut wurde. Eine Hälfte des Camps bezieht die Nationalarmee, die andere die Bereitschaftspolizei, dazwischen wurde eine Mauer hochgezogen. Die Küchen wurden auf afghanische Bedürfnisse umgerüstet, komplexe Küchengeräte durch Feuerstellen ersetzt. Die verbliebenen Bundeswehr-Soldaten essen mit Plastikbesteck von Einweggeschirr. Wo einst mehrere warme Gerichte zur Auswahl standen, gab es am Freitag Tiefkühlbaguette.
Zigaretten dürften auch bald Mangelware werden, der „Verticker“ - eine Art Tante-Emma-Laden für Soldaten - ist zu, wer raucht, sollte langsam bunkern. Im Lummerland ist der letzte Filmabend längst gelaufen, die sogenannte Betreuungseinrichtung ist für immer geschlossen. Bier gibt es schon lange nicht mehr, nur noch Wasser ist im Übermaß vorhanden. Am Freitag wurde noch einmal eine Euro-Palette Cola eingeflogen - für 900 Männer und Frauen. Unter dem Jubel der Soldaten wurde sie aus dem Bauch der Transall geladen.
In dieselbe Transall stieg in Kundus unter anderem der Feldpost-Soldat, um mit rund 20 Kameraden ins Camp Marmal nach Masar-i-Scharif auszufliegen, das letzte deutsche Feldlager. Seine Abreise bedeutete das Ende des Briefverkehrs. Das Internet ist weitgehend abgeschaltet. Die Unterkünfte werden schrittweise geräumt. Der Pressefeldwebel übernachtet schon auf der Couch in seinem kleinen Büro, wo das Festnetztelefon schon lange tot ist. In den Innenhöfen vertrocknen die Rosensträuche, die keiner mehr gießt. Die Schildkröten, die dort lebten, sind verschwunden, niemand weiß, wohin.
Vieles im Camp bleibt zurück, der Ehrenhain allerdings nicht: Er wird nach Potsdam gebracht werden und dort an die Gefallenen erinnern. „Auch wenn die Mauer hier nicht mehr steht, auch wenn die Namen hier nicht mehr sind, werden wir die Kameraden nicht vergessen“, sagt der Kommandeur des letzten Infanteriebataillons in Kundus, Oberstleutnant Heiko Diehl, bei der Trauerfeier im Camp.
Für die Soldaten geht es nun darum, die letzten Tage in Kundus und den Rücktransport nach Masar-i-Scharif heil zu überstehen - und auf keinen Fall noch Kameraden zu verlieren. „Für mich wird es der emotionalste Moment sein, wenn ich meinen letzten Soldaten im Camp Marmal habe“, sagt Diehl am Freitag. „Wenn ich weiß, dass ich alle Soldaten wieder gesund und munter an Körper und Seele in die Heimat führen kann.“