Deutsche in Türkei in Haft Die Nummer 22
Berlin (dpa) - Der Name Peter Steudtner war den meisten Menschen vergangene Woche noch unbekannt. Nun könnte er in die deutsch-türkische Geschichte eingehen. Er steht nicht länger nur für einen 45-jährigen Menschenrechtler aus Berlin.
Er steht nun für einen Wendepunkt in den Beziehungen zweier Staaten. Für eine Neuausrichtung der deutschen Türkeipolitik. „Der Fall Peter Steudtner zeigt, dass deutsche Staatsbürger in der Türkei vor willkürlichen Verhaftungen nicht mehr sicher sind“, warnt Außenminister Sigmar Gabriel. Seine Botschaft an alle Bürger: Man muss nicht länger kritischer Journalist oder Menschenrechtler sein, um am Bosporus in Gefahr zu geraten. Es kann jeden treffen.
Steudtner ist einer von mittlerweile 22 Deutschen, die seit dem Putschversuch in der Türkei vor einem Jahr festgenommen wurden. Neun davon sitzen nach wie vor im Gefängnis. Mit dem Fall Steudtner brachte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan das Fass zum Überlaufen. Nach Nazi-Beleidigungen, nach Streitigkeiten um Besuchsverbote bei der Bundeswehr, nach Menschenrechtsverletzungen und Verhaftungen ist die Bundesregierung mit ihrer Geduld gegenüber dem zunehmend autokratisch regierenden Erdogan am Ende. „Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher“, sagt Gabriel. Dabei dürfte er auch den Fall des deutsch-türkischen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel im Blick haben, der seit fast einem halben Jahr in Haft sitzt.
Es klingt fast so, als will Gabriel sich rechtfertigen für die Zurückhaltung der Bundesregierung in den vergangenen Monaten. Man wisse schließlich um den mühsamen EU-Beitrittsprozess und die Empfindlichkeiten der türkischen Seite. Auf den Putschversuch habe man aus Sicht der Türken auch nicht warmherzig und emotional genug reagiert in Deutschland. Vor allem aber habe man drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln im eigenen Land, die seien ganz wichtig, die hätten das Land ja aufgebaut. Aus diesen Gründen habe man immer wieder versucht, die Aufregung zu dämpfen, man habe jeden noch so ungehörigen Vorwurf geschluckt, Beleidigungen hingenommen, habe auf Dialogbereitschaft gesetzt, nicht mit gleicher Münze zurückgezahlt.
Die Regierung nannte das Diplomatie. Die Opposition nannte es Kuschelkurs. Man habe sich immer auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit verlassen können, sagt Gabriel, darauf, dass sich „die türkische Führung als Mitglied der Europäischen Familie sieht“. „Wieder und wieder sind wir allerdings auch enttäuscht worden.“
Es klingt nach einer Zeitenwende. Die Türkei drehe mit Entlassungen, Verhaftungen und Enteignungen das Rad der Geschichte zurück und verlasse den Boden europäischer Werte. Terrorwürfe dienten dazu, „jede kritische Stimme in der Türkei zum Schweigen zu bringen, derer man habhaft werden kann - auch Stimmen aus Deutschland“, beklagt Gabriel.
Steudtner nimmt vor zwei Wochen als Referent an einem Menschenrechtsseminar in Istanbul teil. Er sitzt deshalb nun mit fünf weiteren Menschenrechtlern in Untersuchungshaft. Erdogan rückt die Aktivisten in die Nähe von Putschisten. Peter Steudtner sei alles andere als ein Türkei-Experte gewesen, sagt Gabriel. „Er ist möglicherweise zum ersten Mal in die Türkei gereist.“ Steudtner habe nie geschrieben über die Türkei, er habe keine enge Kontakt zur Opposition oder Zivilgesellschaft gepflegt, er sei nie als Kritiker in Erscheinung getreten.
Gabriel warnt deshalb nun jeden Bürger vor „willkürlichen Verhaftungen“ in der Türkei. Die Reisehinweise sind nicht das schärfste Instrument im diplomatischen Besteckkasten - eine offizielle Reisewarnung wäre wesentlich härter. Allerdings geht es dann um eine konkrete Gefahr für Leib und Leben. Die Journalisten hierzulande freuen sich über die deutlichen Worte. „Das ist das, was wir uns seit langem schon gewünscht haben“, heißt es im Deutschen Journalisten-Verband. Die Folgen für den Tourismus seien nicht absehbar, teilt hingegen der Deutsche Reiseverband mit.
Der Gegenangriff soll Erdogan wehtun, ihm deutlich machen, dass eine Grenze erreicht ist. Wegen willkürlichen Enteignungen werden Bürgschaften für die Absicherung von Geschäften und Exporten sowie die Wirtschaftshilfe auf den Prüfstand gestellt. Die Firmen sind verunsichert, sie müssen sich auf höhere Risiken für Geschäfte mit der Türkei einstellen.
Die Neuausrichtung sei mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem SPD-Vorsitzenden Martin Schulz abgestimmt, sagt Gabriel. Solch schwerwiegende Maßnahmen müssten schließlich auch in Wahlkampfzeiten abgestimmt werden.
Wie weit die Regierung an der Eskalationsspirale wirklich dreht, ist noch unklar. Noch wichtiger aber: Wird es Erdogan auch jucken? Sein Sprecher, Ibrahim Kalin, spricht am Donnerstag von einer „Respektlosigkeit“ gegenüber der türkischen Justiz. Von einer Gefährdung von Deutschen in der Türkei könne „gar keine Rede sein“. Mit rechtskonformen Deutschen habe man keine Probleme. „Sie sind hier unsere Gäste, und wir wollen hier noch mehr deutsche Touristen sehen.“ Einsicht klingt anders.