Analyse Kuschelkurs adé? Regierung verschärft Ton gegenüber Türkei

Berlin (dpa) - Es klang nach einer Standpauke für den türkischen Botschafter. So, als ob den Diplomaten im Auswärtigen Amt der Geduldsfaden reißt. Am Mittwochvormittag habe man den Botschafter ins Ministerium „zitiert“, sagte ein Sprecher.

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„Glasklare Ansagen“ soll es gegeben haben, unmissverständlich, „diesmal ganz ohne diplomatische Floskeln“. „Klipp und klar“ habe man dem Botschafter gesagt, dass die jüngsten Verhaftungen von Menschenrechtlern, darunter eines Deutschen, nicht akzeptabel sind. Man habe ja ganz viel Geduld gehabt mit der Türkei. „Er weiß auch nun, wie die Regierung in Ankara, dass es uns ernst ist“.

Aber interessiert diese Botschaft auch den immer autoritärer agierenden Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan? Seit der Verhaftung des Deutschen Peter Steudtner und seiner fünf Kollegen ist der Streit zwischen Ankara und Berlin erneut entfacht, auf einer neuen Ebene.

Die Bundesregierung zeigt nach langer Zurückhaltung Zähne, auf dem diplomatischen Weg zumindest. Denn die öffentliche Empörung ist groß, ebenso wie die Kritik von SPD und Opposition. Von einer Geiselnahme der Menschenrechtler ist die Rede. Dem Kanzleramt wird von der Opposition ein Kuschelkurs vorgeworfen.

Die Aktivisten waren vor zwei Wochen bei einem Stressbewältigungs-Workshop festgenommen worden. Nach Angaben türkischer Behörden stehen sie im Verdacht, eine „bewaffnete Terrororganisation“ zu unterstützen. Staatspräsident Erdogan rückt sie in die Nähe von Putschisten. Das deutsche Generalkonsulat in Ankara wartet seit Tagen auf einen Besuchstermin beim Menschenrechtsaktivisten Steudtner.

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) bricht nun extra seinen Urlaub an der Ostsee ab. Er will am Donnerstagfrüh im Auswärtigen Amt sein, um zu beraten, was jetzt angesichts „der dramatischen Verschärfung des türkischen Vorgehens“ zu tun ist. Von einer neuen Haltung, von neuen Maßnahmen ist nun die Rede. Es gehe dabei um das „gesamte Portfolio der Beziehungen der EU mit der Türkei“. Es klingt nach einem Einschnitt. Zwar wolle man die Türkei als Partner nicht verlieren. „Aber das gelingt uns nur dann, wenn der Partner, den wir verlieren können, noch ein Partner sein will.“

Bislang konnte Erdogan darauf bauen, dass Berlin auf seine Ausfälle zurückhaltend reagiert - ganz gleich ob es um Nazi-Vorwürfe gegen Kanzlerin Angela Merkel ging oder um Besuchsverbote für deutsche Abgeordnete auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik oder dem Nato-Stützpunkt Konya. Das Vorgehen Gabriels sei mit Merkel abgesprochen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch. Merkel verurteile die Inhaftierung. Folgt nun die Peitsche auf das Zuckerbrot?

An welchen Stellschrauben kann Gabriel drehen? Der EU-Beitritt ist für Erdogan schon lange nicht mehr wichtig. Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts würde die türkische Tourismusindustrie empfindlich treffen, allerdings hat die Bundesregierung keinerlei Absicht, eine solche auszusprechen.

Die Zollunion mit der Türkei wäre eine Stellschraube der EU. Erdogan will schließlich die Wirtschaft vor der Präsidentenwahl 2019 am Laufen halten. Auch die Einschränkung der Visumfreiheit für den Schengen-Raum, die bereits für mehr als jeden zehnten Besitzer eines türkischen Reisepasses gilt, würde die türkische Regierung schmerzen.

Allerdings ist Merkel von der Türkei auch wegen des Flüchtlingspakts abhängig. Sie hat nach der Flüchtlingskrise 2015 keinerlei Interesse daran, dass Erdogan wieder massenhaft Migranten gen Deutschland weiterziehen lässt - schon gar nicht im Bundestagswahlkampf.

So viel ist klar: Die Einbestellung des Botschafters dürfte Erdogan kaum jucken. Die Erfolge solcher Gespräche waren bislang überschaubar. „Der türkische Botschafter ist schon so häufig bei uns gewesen, (...) dass er den Weg schon ganz gut kennt“, sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Etwa Ende Februar, als der Botschafter zum Gespräch gebeten wurde - damals ging es um die Inhaftierung von Yücel. Der sitzt weiterhin in Isolationshaft, nun seit bald 150 Tagen - ohne Anklageschrift.