Analyse „Dieselgate“ ist lange nicht vorbei
Berlin/Ingolstadt (dpa) - „Dieselgate“ ist zurück. Zuletzt war es etwas ruhiger geworden im VW-Konzern. Nun aber wirft Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) der VW-Tochter Audi vor, eine „unzulässige Abschalteinrichtung“ verwendet zu haben - Betonung auf „unzulässig“.
Für Audi, Vorstandschef Rupert Stadler und den Konzern könnte es nun wieder ungemütlich werden.
Die Software habe erkannt, wenn das Auto auf einem Prüfstand war - dann seien die Abgas-Reinigungssysteme angeschaltet worden, sagte Dobrindt. Es geht um den Ausstoß der als gesundheitsschädlich geltenden Stickoxid-Gase (NOx). Audi muss nun 24 000 Oberklasse-Fahrzeuge zurückrufen. Die betroffenen Fahrzeuge seien jeweils zur Hälfte auf dem deutschen und auf dem europäischen Markt. Dobrindt will bis zum 12. Juni Lösungsvorschläge sehen für eine Umrüstung.
Dobrindt sprach über die neuen Vorwürfe auch mit VW-Konzernchef Matthias Müller. Dieser habe im Gespräch einen „betroffenen Eindruck“ gemacht, sagte der Minister. Man habe nach seiner Einschätzung bei Volkswagen nichts davon gewusst.
Enger wird es nun auch wieder für Stadler. Erst vor gut zwei Wochen verlängerte der Audi-Aufsichtsrat den Vertrag des in die Kritik geratenen Chefs um fünf Jahre bis Ende 2022. „Als Konsequenz aus der Diesel-Affäre stellen wir bei Audi alles auf den Prüfstand“, hatte Stadler Mitte März auf der Bilanzpressekonferenz gesagt. Auch die oberste Riege im VW-Konzern hatte ihm demonstrativ den Rücken gestärkt. Nun steht Audi in der Affäre erneut im Rampenlicht.
„Es ist ein weiterer Schlag“, sagt Branchenexperte Stefan Bratzel vom Institut CAM-Center in Bergisch-Gladbach. „Und der Diesel kommt nicht aus den Schlagzeilen.“ Die neue Qualität sei: Dobrindt werfe nun erstmals auch Audi vor, eine „illegale“ Abschalteinrichtung einzusetzen.
Bei vielen Motoren mit auffälligen Abgaswerten argumentieren die Autohersteller mit dem sogenannten Bauteilschutz: Sie verweisen auf den angeblichen Schutz des Motors, wenn die Abgasreinigung etwa bei bestimmten Temperaturen heruntergedrosselt wird. Zwar war bei den Tests infolge des VW-Abgasskandals im vergangenen Jahr auch ein Audi auffällig gewesen - aber eben nicht rundweg als „illegal“ ins Fadenkreuz geraten.
Bisher hatte Dobrindt dies - neben einigen VW-Motoren - vor allem auch Fiat Chrysler vorgeworfen, der italienisch-amerikanische Konzern weist dies allerdings weiter zurück.
Zwar hat es in der komplexen Abgasaffäre seit September 2015 bereits Rückrufe von Millionen Autos von VW in Europa und Deutschland gegeben. Umstritten war aber stets, ob die Abschalteinrichtungen „illegal“ gewesen sind, Bratzel spricht von einer „Grauzone“. VW ist der Auffassung, in Europa gar keine Vorschriften verletzt zu haben - anders als in den USA. Dort hat der Konzern dies unter Verweis auch auf eine andere Rechtslage anerkannt. Dies hat den VW-Konzern Milliarden etwa für Entschädigungen an Kunden gekostet - auch wegen Motoren von Audi.
Die Dobrindt-Vorwürfe an die Ingolstädter, die jetzt in Frage stehenden Abschalteinrichtungen seien „unzulässig“, könnten nun massive Auswirkungen haben. Vor Gericht könnten sich Kunden darauf berufen.
Und auch für das Image des Diesel ist es ein weiterer Rückschlag. Immer neue Berichte über mögliche Abgas-Manipulationen sowie eine breite Debatte um drohende Fahrverbote für ältere Diesel-Modelle haben offensichtlich für Verunsicherung gesorgt - seit Monaten sinkt der Diesel-Marktanteil bei Neuwagen.
Im Zentrum der Kritik am Dieselmotor steht der Ausstoß von gesundheitsschädigendem Stickoxid. Stickoxide können unter anderem den Atemwegen und dem Herz-Kreislauf-System schaden. Für Aufsehen hatte vor den Dobrindt-Vorwürfen zuletzt Ende April das Umweltbundesamt gesorgt: Neue Daten zeigten, dass auch moderne Diesel-Autos den EU-Grenzwert auf der Straße um ein Vielfaches überschreiten.
Neben dem VW-Konzern war auch Daimler in den Diesel-Fokus geraten. Vor einer Woche erst durchsuchte ein Großaufgebot an Ermittlern mehrere Daimler-Standorte. Hintergrund: Verdacht auf Betrug im Zusammenhang mit möglicher Manipulation der Abgasnachbehandlung bei Diesel-Pkw. Streitpunkt ist auch hier ein sogenanntes Thermofenster, das in bestimmten Temperaturbereichen die Abgasnachbereitung herunterregelt. Daimler hatte sich wie andere Hersteller auch mit dem Kraftfahrtbundesamt darauf geeinigt, betroffene Fahrzeuge „freiwillig“ zurückzurufen, um die Technik anzupassen.