Zoff um den Diesel Schmutzfink mit Chance auf „neuen Frühling“?

Berlin (dpa) - Eigentlich ist er ein Welterfolg und Paradebeispiel deutscher Ingenieurskunst, doch Kritiker sehen in ihm eher ein Schmuddelkind: Der Diesel hat es nicht leicht. Die Motortechnik - vor 125 Jahren von ihrem Erfinder Rudolf Diesel in Berlin zum Patent angemeldet - ist durch den millionenfachen Abgasbetrug bei VW in Verruf geraten.

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Als wären die gefälschten Werte zum Ausstoß von Stickoxiden nicht genug, entbrannte in ganz Europa noch eine Debatte darüber, ob man den Selbstzünder aus Umweltzonen der Städte verbannen sollte. In Stuttgart gibt es für ältere Diesel von 2018 an Fahrverbote.

Nie zuvor herrschte solch eine Aufregung um die lange als „Traktor“ mit nagelndem Lärm verspottete Technik. Dabei ist der Diesel eine Antriebsart, die mehr als ein Jahrhundert nach ihrer Geburt zumindest übergangsweise durchaus eine Zukunft haben dürfte. Das Image mag angekratzt, aber besonders moderne Varianten der „rationellen Wärmekraftmaschine“ können ökologisch auch im Vorteil sein.

Der Chef des Autoverbands VDA, Matthias Wissmann, glaubt, dass neue Techniken mit synthetischem Öko-Sprit „einen neuen Frühling“ in klassischen Motoren erleben: „Wir werden 2030 noch hocheffiziente Verbrenner brauchen.“ 2016 war in Deutschland knapp jedes zweite neue Auto ein Diesel, der Marktanteil sank jedoch von 48 auf 45,9 Prozent.

Die Stuttgarter Diesel-Sperre für Wagen unterhalb der modernen Abgasnorm Euro 6 ab kommendem Jahr ist laut VDA wenig intelligent. Die Chefin des Umweltbundesamts, Maria Krautzberger, hält den Schritt nicht für ausreichend: „Wir brauchen eine neue Verkehrskultur.“

Verglichen mit Ottomotoren ähnlicher Leistung kamen ältere Diesel bis zur Euro-5-Abgasnorm meist nicht um ein Dilemma herum: Die Senkung des Verbrauchs - und damit auch des Klimagases CO2 - gelang in der Regel besser als bei Benzinern, weil Dieselmotoren aufgrund der Selbstentzündung des Kraftstoffgemischs im Zylinder effizienter arbeiten. Dafür stoßen sie im Schnitt aber größere Mengen Stickoxide (NOx) aus, die bei hoher Konzentration als Atemgifte wirken können.

Auf Superbenzin ausgelegte Motoren konnten demgegenüber mit einer besseren NOx-Bilanz punkten, pusteten dafür mehr CO2 in die Luft. Die Technik hat sich allerdings stark weiterentwickelt. Während Benziner durch kleinere Hubräume bei gleichzeitiger Leistungssteigerung („downsizing“) sparsamer und CO2-ärmer als ältere Spritschleudern wurden, hievten Ingenieure den Diesel in erträglichere NOx-Bereiche.

Eine wichtige Rolle spielte dabei die zunehmende Verbreitung der „Adblue“-Technik. Die Einspritzung von Harnstoff in den Abgasstrom führt dazu, dass der Katalysator besser läuft und mehr Stickoxide zu harmlosen Stoffen reagieren, bevor die Rückstände den Auspuff verlassen. Autoexperte Willi Diez sieht hier aber primär große Wagen vorn: „Bei kompakten Fahrzeugen ist der Diesel auf dem Rückzug.“

Dennoch muss der Diesel mit großer Skepsis kämpfen - angesichts des in den USA bekanntgewordenen Abgas-Skandals zum Teil durchaus zu Recht. In den Vereinigten Staaten sind Behörden und Gesundheitspolitik traditionell besonders sensibel, wenn es um NOx oder Feinstaub geht.

In der EU hingegen sind vor allem strenge CO2-Regeln ein zentraler Pfeiler der Umweltpolitik. Nach dem Jahr 2020 dürfen die Flotten der Autohersteller in Europa nur noch durchschnittlich 95 Gramm des Treibhausgases pro gefahrenen Kilometer in die Atmosphäre blasen. Für die deutschen Autobauer sind Dieselfahrzeuge relativ betrachtet bisher ungleich bedeutender als für die Konkurrenz in Übersee.

Mit ihrer Forderung einer „blauen Plakette“ für Wagen mit geringem NOx-Ausstoß konnte sich Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) bislang nicht durchsetzen. Dabei läuft gegen Deutschland seit 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren der EU, weil vielerorts Grenzwerte nicht eingehalten werden. Seit dem Dezember muss die Bundesregierung sich außerdem wegen zu laxen Vorgehens gegen Abgas-Tricksereien der Autokonzerne bei der Kommission in Brüssel rechtfertigen.

Der Ausbau der Elektromobilität und von weiteren Alternativen wie Brennstoffzelle oder Erdgasmotor - so schleppend er derzeit auch noch läuft - wird die Marktanteile mittelfristig sicher verschieben, schätzt der scheidende Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber: „Wir planen jetzt den Großangriff.“ Auf dem Weg dorthin werde man jedoch kaum auf moderne Diesel verzichten können. Auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum stellte eine Allianz aus Autobauern und anderen Konzernen im Januar eine globale Initiative für Wasserstoffautos vor.

Ein Faktor beim Diesel sind neben dem häufig hohen Anschaffungspreis auch die Betriebskosten. Solange die Kfz-Steuer für Dieselautos über der für Benziner liegt, ist der Umstieg nur bedingt attraktiv. Andererseits wird Diesel heute noch geringer besteuert als Benzin und ist damit an der Tankstelle günstiger.

Hinzu kommt, dass der Antrieb aus anderen Branchen nicht wegzudenken ist. Auf den Weltmeeren fahren Containerriesen mit teils haushohen Diesel-Aggregaten. Der Ausstoß von Schadstoffen hat Umweltschützer auf den Plan gerufen - ein Punkt, der laut Nabu lange unterschätzt wurde: „Die Seeschifffahrt hat ein massives Abgasproblem“, so der Naturschutzbund. Die Branche will daher weg von Schweröl und altem Diesel - und sauberere Motoren einsetzen. Der Lkw-Verkehr dürfte ebenfalls mittelfristig auf Diesel angewiesen bleiben, Hybrid- oder Elektro-Laster erreichen keine größeren Stückzahlen.

Ausgedient hat der moderne Diesel also noch nicht. Peter Mock - Europa-Chef der Umweltorganisation ICCT, die den VW-Skandal mit aufdeckte - betont: „Ihn sauber zu bekommen, ist absolut möglich.“

Jüngst ermittelte eine Studie des Forscherverbunds, dass viele Pkw sogar in der modernsten Schadstoffklasse Euro 6 noch mehr giftige Stickoxide aus dem Auspuff blasen als neue Lastwagen oder Busse. Die Erben von Rudolf Diesel müssten sich insofern ranhalten, mahnt der Ex-Mitarbeiter der Daimler-Umweltabteilung. „Die Reise geht immer mehr in Richtung Elektrifizierung. Das wird immer günstiger werden.“