Analyse Der Studienabbrecher
Berlin (dpa) - Bill Gates hat es getan. Anke Engelke auch. Herbert Grönemeyer, Günther Jauch und Brad Pitt ebenfalls. Alle haben ein Studium abgebrochen - der Erfolg ohne akademische Weihen gab ihnen später Recht.
Doch die meisten ihrer Schicksalsgenossen sind unbekannte Wesen. Und es sind viele. Fast jeder dritte Bachelor-Student in Deutschland verlässt Universität oder Fachhochschule ohne Abschluss. Ihre Motive und Lebenswege beleuchtet nun erstmals ganz ausführlich eine wissenschaftliche Studie.
Wie hat sich das Phänomen Studienabbruch entwickelt?
Schon lange ist bekannt, dass im Massenbetrieb Hochschule viele Studenten vor allem in den ersten Semestern frustriert hinwerfen. Meist tauchen sie dann in die Anonymität ab - und irgendwann ohne Uni-Abschluss wieder im Arbeitsmarkt auf. Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) fand nun heraus: Die Abbrecherquote steigt im Vergleich zu früheren Untersuchungen von 28 auf 29 Prozent. An Universitäten geht sie leicht zurück. Dafür legt sie an Fachhochschulen zu, weil sich hier inzwischen viele junge Leute für die „abbruchintensiven“ technisch-naturwissenschaftlichen Studiengänge einschreiben - und prompt scheitern.
Wird denn der Irrtum zumindest schnell erkannt?
Die Zeitverschwendung hält sich in knapp der Hälfte aller Fälle in Grenzen: 47 Prozent verlassen die Hochschule bereits im ersten oder zweiten Fachsemester. Weitere 29 Prozent studieren drei bis vier Semester bis zum „Adieu“, aber immerhin 13 Prozent sind länger als sechs Semester dabei.
Und wie sieht es in den Master-Studiengängen aus?
Nach dem Bachelor-Abschluss sollte es eigentlich reibungsloser laufen - man kennt sich schließlich aus mit Uni und Studienfach. Dennoch verzeichnet die neue DZHW-Untersuchung auch in dieser zweiten Phase des Studiums erhöhte Abbruchquoten - sowohl an Universitäten (von 11 auf 15 Prozent) als auch Fachhochschulen (von 7 auf 19 Prozent).
Was weiß man über die Gründe für einen Studienabbruch?
„Wesentliche Einflussfaktoren liegen bereits in der Phase vor dem Studium“, bilanzieren die DZHW-Wissenschaftler. Denn gut drei Viertel der erfolgreichen Studienabsolventen, aber nur 61 Prozent der Abbrecher hätten ihre Zugangsberechtigung an einem Gymnasium erworben. Andere schulische Wege ins Studium wie Abendgymnasien, Kollegs, Fachgymnasien, Berufs- und Fachoberschulen seien weniger erfolgversprechend. Bei denjenigen, die ein Bachelor-Studium ohne Abschluss beenden, sind „unbewältigte Leistungsanforderungen“ der Hauptgrund (30 Prozent) vor mangelnder Motivation (17 Prozent). Für 15 Prozent ist der Wunsch nach mehr Praxis entscheidend. Finanzielle Engpässe spielen der Untersuchung zufolge eine nachrangige Rolle - diese Begründung wurde nur von 11 Prozent angeführt (2008: 19).
Und wie kommen Studienabbrecher danach klar?
Die große Mehrheit hält sich nicht lang mit dem Wundenlecken auf. Ein halbes Jahr nach dem Abschied von der Uni haben 43 Prozent eine schulische oder betriebliche Berufsausbildung aufgenommen (2008: 22), 31 Prozent sind erwerbstätig (2008: 42). Und nur ein geringer Anteil von 11 Prozent der Studienabbrecher ist dann arbeitslos (2008: 15).
Das Thema Studienabbruch ist ja nicht neu. Was tut die Politik?
Seit vorigem Jahr müssen die Unis zehn Prozent der Mittel aus dem „Hochschulpakt 2020“ für Maßnahmen gegen Studienabbruch verwenden, damit möglichst wenige der zurzeit 2,8 Millionen Studierenden hinwerfen. Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) setzt auf vertiefte Berufsorientierung schon an Schulen, um Fehlentscheidungen zu verhindern. Sie hat vor drei Jahren eine Initiative zur Gewinnung von Studienabbrechern für die berufliche Bildung gestartet (Jobstarter plus). Vor knapp einem Jahr ging zudem eine zentrale Informationsplattform online, die Studienzweifler über alternative Qualifizierungswege in und außerhalb der Hochschulen informiert.
Zuwanderer haben besondere Probleme. Was weiß man darüber?
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) hat in einer eigenen Untersuchung herausgefunden: Studierende aus Zuwandererfamilien und Ausländer scheitern an deutschen Hochschulen sehr häufig - an sprachlichen, fachlichen und finanziellen Hürden. Die Abbrecherquote ist demnach in dieser mehr als 700 000 Menschen umfassenden Gruppe mit über 41 Prozent im Schnitt viel höher als bei Kommilitonen ohne Migrationshintergrund. Eine Ursache sei „punktuell auch soziale Isolation“. Wolfgang Rohe von der federführenden Stiftung Mercator: „Die Studie hat verdeutlicht, dass die Bewältigung eines Studiums für Menschen aus Zuwanderungsfamilien eine besondere Herausforderung darstellt.“
Wie aussagekräftig sind die Untersuchungen zum Studienabbruch?
Die Berechnung der Schwund- und Abbruchquoten auf Basis des Hochschuleinstiegs 2014 beruht auf einem vom DZHW entwickelten Berechnungsverfahren, das Studienanfänger und Absolventen in Beziehung setzt. Die Ergebnisse sind top-aktuell: Das Projekt begann Anfang 2014 und endete Mitte 2016. Und sie sind repräsentativ: In die Befragung wurden auf Basis einer bundesweiten Stichprobe insgesamt 32 Universitäten und 28 Fachhochschulen einbezogen. In die Auswertung liefen Aussagen von gut 6000 Exmatrikulierten ein.