Diplomatischer Durchbruch im Syrienkonflikt
New York (dpa) - Diplomatischer Durchbruch im Syrien-Konflikt: Erstmals seit Beginn des Bürgerkriegs vor mehr als zwei Jahren haben sich die fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat auf eine Resolution geeinigt.
In dem Entwurf, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt, wird Syriens Machthaber Baschar al-Assad aufgefordert, alle Chemiewaffen herauszugeben und vernichten zu lassen. Andernfalls soll es Konsequenzen nach Kapitel VII der UN-Charta geben. Bevor die Vereinten Nationen jedoch tatsächlich grünes Licht für einen Militärschlag geben, müsste der Sicherheitsrat erneut zusammenkommen.
Die Einigung kam am Donnerstagabend (Ortszeit) am Rande der UN-Vollversammlung zustande. Grundlage dafür waren direkte Verhandlungen zwischen US-Außenminister John Kerry und seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow, nachdem sich die Lage wegen des Giftgas-Einsatzes im August dramatisch zugespitzt hatte. Die Verabschiedung der Resolution galt nur noch als Formsache. Im Sicherheitsrat mit seinen 15 Mitgliedern reicht dafür eine Mehrheit von neun Stimmen, wenn keine der Vetomächte blockiert.
Der Giftgasangriff vom 21. August bei Damaskus mit seinen vielen Hundert Toten wird in dem Entwurf „tief entsetzt“ verurteilt. Ein Hinweis auf die Täter fehlt jedoch darin. Der Westen ist überzeugt, dass das Assad-Regime dahintersteckt, konnte sich gegenüber Moskau jedoch nicht durchsetzen. Als Verbündeter Syriens hatte Russland seit Beginn des Bürgerkriegs zusammen mit China jede Resolution gegen Assad im Sicherheitsrat verhindert. Unterdessen gingen die Kämpfe in dem Bürgerkriegsland unvermindert weiter. Mindestens 37 Menschen wurden am Freitag bei einem Sprengstoffanschlag in der Rebellenhochburg Rankus bei Damaskus getötet.
Bislang kamen in Syrien bereits mehr als 100 000 Menschen ums Leben. Viele Hunderttausend Kinder, Frauen und Männer sind auf der Flucht. Die Abstimmung im Sicherheitsrat wurde nun bald erwartet. Von französischer Seite wurde als Termin 2.00 Uhr MESZ in der Nacht zum Samstag genannt. Zuvor müsste allerdings die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPWC) in Den Haag zustimmen. Die Kontrollbehörde wollte am späten Freitagabend über den Plan zur Vernichtung der syrischen C-Waffen beraten.
Kapitel VII der UN-Charta gäbe den Vereinten Nationen die Möglichkeit, Assad notfalls mit militärischer Gewalt zu zwingen, die Vernichtung der Chemiewaffen zu ermöglichen. Allerdings dürfte keine Vetomacht im UN-Sicherheitsrat - Russland, China, die USA, Frankreich und Großbritannien - dagegen stimmen. Sollte es wirklich so weit kommen, müsste der Sicherheitsrat noch einmal zusammenkommen und diese Konsequenzen im Detail ausformulieren. In diesem Punkt habe sich Russland durchgesetzt, analysierten Experten.
Der Text sei ein Kompromiss, sagte der britische UN-Botschafter Mark Lyall Grant. Seine US-Kollegin Samantha Power erinnerte daran, dass sich der Rat direkt nach dem Giftgasangriff noch nicht einmal auf eine gemeinsame Stellungnahme einigen konnte. Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin bezeichnete den Text als „pragmatisch“.
Die UN-Chemiewaffenexperten wollen ihre Untersuchung mutmaßlicher Giftgaseinsätze in Syrien nach UN-Angaben auf sieben Orte in der Umgebung von Damaskus ausdehnen. Das Team werde nach Beweismaterial für Giftgasattacken zwischen dem 19. März und dem 25. August suchen, hieß es in einer UN-Verlautbarung aus New York. Das Ergebnis der Gesamtuntersuchung soll UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Ende Oktober vorgelegt werden. Zu den Vierteln, die sie nach Angaben eines UN-Mitarbeiters besuchten, gehörte auch die Rebellenhochburg Dschobar. Das Team war am Mittwoch nach Syrien zurückgekehrt und wollte seine Arbeit bis Montag beenden.
Die Bundesregierung begrüßte die Einigung von New York. Berlin setze darauf, dass sich damit „das Tor öffnet“ für eine politische Lösung und ein Ende des Bürgerkriegs, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Jetzt könne es schon in den nächsten Tagen für das Assad-Regime einen „präzisen Zeitplan für die Beseitigung seiner Chemiewaffen-Arsenale“ geben, betonte Außenminister Guido Westerwelle, der sich für die UN-Vollversammlung in New York aufhält.
Während die Gespräche über die geplanten Friedensverhandlungen weiterlaufen, bringen Saudi-Arabien, die Türkei und Frankreich Ex-Funktionäre des Regimes als mögliche Führungspersönlichkeiten für eine Übergangszeit ins Spiel. Die Zeitung „Le Figaro“ hatte am Donnerstag berichtet, der frühere Verteidigungsminister Ali Habib habe sich nach Frankreich abgesetzt. Saudi-Arabien soll den früheren Ministerpräsidenten Riad Hedschab unterstützen.
Indessen verweigern immer mehr Rebellen der syrischen Opposition die Gefolgschaft. Die Website „Aksalser“ berichtete, Amar al-Wawi, ein führendes Mitglied der von Deserteuren gegründeten Freien Syrischen Armee (FSA), habe der Nationalen Syrischen Allianz und dem FSA-Generalstab im Namen mehrerer Brigaden die Gefolgschaft aufgekündigt. Zuvor hatten sich bereits 13 Brigaden mit islamistischem Hintergrund losgesagt.