Sieben Jahre nach dem Unglück Doch noch ein Loveparade-Strafprozess: Hoffen auf Aufklärung
Düsseldorf/Duisburg (dpa) - Sie erstickten und sie wurden erdrückt: Bei der Loveparade in Duisburg im Juli 2010 starben 21 junge Menschen. Der einzige Zugang zu der Technoparade auf einem stillgelegten Güterbahnhof war auch der einzige Ausgang.
Es kam zu einem tödlichen Gedränge.
Mehr als 650 wurden verletzt. Einige leiden bis heute schwer unter den Folgen. Doch wer hatte das zu verantworten? War es vielleicht absehbar gewesen, dass die Wege für die vielen Menschen viel zu knapp bemessen waren?
Fragen, die jetzt doch in einem Strafprozess geklärt werden sollen. Am Montag, und damit sechs Jahre und neun Monate nach dem Unglück, gab das Oberlandesgericht Düsseldorf seine Entscheidung bekannt.
Es hob einen Beschluss der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg auf, die vor gut einem Jahr die Anklage gegen zehn Beschuldigte, Beschäftigte der Stadt und des Veranstalters Lopavent, abgewiesen hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Ursache des tödlichen Verlaufs seien schwerwiegende Fehler bei Planung, Genehmigung und Überwachung von Auflagen gewesen. Der OLG-Senat ordnete gleichzeitig an, dass das Hauptverfahren nun vor der 6. Großen Strafkammer des gleichen Gerichts stattfindet.
Die Hauptverhandlung dürfte einer der größten Strafprozesse überhaupt werden. So umfangreich war bereits die Beweisaufnahme. Zeitweise waren bis zu 96 Polizeibeamte des Polizeipräsidiums Köln sowie sechs Staatsanwälte mit dem Fall befasst. Sie vernahmen 3409 Zeugen und sichteten 963 Stunden Videomaterial. Am Ende stand die Anklage. Im Februar 2014 war das. Jahre waren da bereits vergangen. Doch die Hinterbliebenen sollten noch viel länger warten müssen.
Denn das Duisburger Landgericht hatte viele Fragen an den Sachverständigen Keith Still, einen britischen Panikforscher, der für die Staatsanwaltschaft ein Gutachten geschrieben hatte. Am Ende der Prüfung im Frühjahr 2016 dann ein Paukenschlag: Nichtzulassung der Anklage. Es sollte keinen Prozess geben. Die Anklage beruhe im Wesentlichen auf dem Gutachten. Dieses leide jedoch unter gravierenden inhaltlichen und methodischen Mängeln, lautete eine Begründung. Eine Klatsche für die Staatsanwaltschaft. Ein Opferanwalt sprach von einem „Justizskandal“.
Der 750 Seiten umfassenden Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung schlossen sich zahlreiche Nebenkläger an. Mit Erfolg. Die Entscheidung des OLG kann nun nicht weiter angefochten werden.
Der zuständige Senat beim OLG hält eine Verurteilung der Angeklagten für „hinreichend wahrscheinlich“ - und stellt damit eine wesentliche Voraussetzung für die Eröffnung eines Hauptverfahrens fest. „Dass die den Angeschuldigten vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen ursächlich für die Todes- und Verletzungsfolgen waren, dränge sich nach dem Ermittlungsergebnis auf“, heißt es in einer Mitteilung. Auch das Gutachten des Sachverständigen soll in der Hauptverhandlung verwertet werden. Es weise keine durchgreifenden inhaltlichen oder methodischen Mängel auf.
Anwälte von Opfern nahmen die unerwartete Wende mit Erleichterung auf. Den Opfern gehe es weniger um eine Strafe für einzelne Personen, sagt Professor Thomas Feltes in Bochum. Er vertritt einen Vater, dessen Tochter bei der Loveparade ums Leben kam. Die Opfer wollten, dass die Gerichte das Geschehen aufarbeiteten und dass die Schuldfrage geklärt werde. „Wenn dann das Verfahren so geführt wird wie beim Münchner NSU-Verfahren, dann kann die Kammer den Opfern gerecht werden“, sagte Feltes.
Wann der Mammutprozess beginnt, hat das Landgericht Duisburg noch nicht entschieden. Wo er stattfindet, stand für diesen Fall aber schon seit drei Jahren fest: In einem großen Saal des Kongresszentrums auf dem Gelände der Düsseldorfer Messe. Mit rund 450 Menschen hatte das Gericht damals gerechnet, die in den Saal passen würden. Das ist realistisch: Zu den zehn Angeklagten und ihren Anwälten kommen allein 56 Nebenkläger und deren Rechtsvertreter. Gerechnet wird außerdem mit einem großen öffentlichen Interesse.
Der Justiz sitzt bei alledem weiterhin die Zeit im Nacken: Bis zum 27. Juli 2020, zehn Jahre, nachdem das 21. Opfer starb, muss ein Urteil in erster Instanz vorliegen. Ansonsten tritt Verjährung ein.