Dutzende Tote und Panik bei Nachbeben in Nepal
Kathmandu (dpa) - Ein gewaltiges Nachbeben hat zweieinhalb Wochen nach dem verheerenden Erdbeben in Nepal den Himalaya erschüttert. Mindestens 70 Menschen kamen durch Erdrutsche, einstürzende Häuser und herabfallende Trümmer ums Leben.
Allein in Nepal gab es offiziellen Angaben zufolge weit mehr als 1200 Verletzte. Die am schwersten getroffenen Distrike Dolakha und Sindhupalchowk östlich von Kathmandu seien völlig verwüstet, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Das Geoforschungszentrum in Potsdam warnt, es könne auch weiter westlich noch Nachbeben geben.
In Nepal starben nach offiziellen Angaben 52 Menschen bei dem Nachbeben. In Indien kamen mindestens 17 Menschen ums Leben und in China eine Frau. Die Zahl könne aber weiter steigen, wenn Berichte aus den entlegenen Gebieten einträfen, sagte Laxmi Dhakal vom Innenministerium. Dort seien ganze Siedlungen von Erdrutschen verschüttet worden. Der einzige internationale Flughafen Nepals wurde erneut vorübergehend stillgelegt.
Die US-amerikanische Geologiebehörde USGS gab die Stärke des neuen Bebens mit 7,3 an, mit dem Epizentrum 76 Kilometer östlich von Kathmandu. Das Deutsche Geoforschungszentrums in Potsdam (GFZ) spach von 7,2. Beim Beben vor zweieinhalb Wochen war eine Stärke von 7,8 gemessen worden. Seitdem wurden mehr als 8000 Tote geborgen.
Während die Erde mehr als 40 Sekunden lang zitterte, rannten die Nepalesen an zahlreichen Orten nach draußen. „Die Menschen waren alle total verängstigt und schrien“, sagt Sunjuli Singh, die für die Hilfsorganisation World Vision in Kathmandu arbeitet. „Sie versammelten sich in der Mitte der Straßen, möglichst weit weg von den Wänden, aus Angst, diese würden einstürzen.“ Zahlreiche Gebäude - durch das verheerende Beben vor 17 Tagen schon instabil geworden - stürzten ein.
Im Abstand von wenigen Minuten folgten weitere, schwächere Beben. Manche Menschen waren in Panik, andere lagen sich in den Armen. „Wir sind alle aus unseren Büros gerannt. Manche Menschen haben geweint. Das Nachbargebäude hat frische Risse“, sagte Ely Shrestha in Kathmandu.
Die Menschen begannen erneut damit, Zelte auf öffentlichen Plätzen und in ihren Gärten aufzubauen - dabei hatten sie diese oft erst vor wenigen Tagen abgebaut und waren in ihre Häuser zurückgekehrt. Die Menschen benötigten dringend mehr Planen, sagte Bauingenieur Guido Krauss, der für die Hilfsorganisation Help in Nepal die Aufbauarbeiten koordiniert. „In ein paar Wochen beginnt die Monsunzeit“, sagte Krauss der Deutschen Presse-Agentur. Auch Nahrungsmittel, Medikamente und Werkzeuge würden benötigt.
Das Epizentrum des Nachbebens befand sich diesmal in der Nähe des Mount Everest, nahe der Grenze zu China. Vor zweieinhalb Wochen war das stärkste Zittern westlich von Kathmandu zu spüren gewesen. Es sei zu erwarten, dass in nächster Zeit noch weiter westlich starke Erdbeben auftreten könnten, sagte der GFZ-Geophysiker Birger Lühr. Das fürchten auch viele Nepalesen: Selbst TV-Sender bauten ihre Studios wieder auf der Straße auf, weil ihre Gebäude ihnen zu unsicher schienen.
Nepal liegt auf der Stelle, wo sich die Indische in die Eurasische Platte schiebt. Deswegen kommt es immer wieder zu schweren Erdbeben. Lühr erklärt, Kathmandu gehöre wie Los Angeles, Taschkent oder Instanbul zu den am stärksten gefährdeten Gebieten. Das Nachbeben war bis nach Kolkata und in die indische Hauptstadt Neu Delhi zu spüren. Dort wurde die U-Bahn vorübergehend angehalten.
Bei dem Beben am 25. April waren fast eine halbe Million Häuser in Nepal zerstört oder schwer beschädigt worden. Millionen Nepalesen leben derzeit in Zelten, vor allem in den Bergen, wo die einfachen Lehm- und Steinhäuser den Erschütterungen nicht standhielten.
Die Vereinten Nationen erinnerten daran, dass nach dem großen Beben nur 13 Prozent der geforderten Gelder für UN-Hilfsorganisationen eingegangen seien. Es sei mehr nötig, um besser Hilfe leisten zu können, teilte das UN-Büro für Katastrophenhilfe (Ocha) via Twitter mit. Auch die katholische Hilfsorganisation Caritas International und die evangelische Diakonie Katastrophenhilfe riefen zu weiteren Spenden auf.
Laut UN waren etwa ein Viertel der Bevölkerung des armen südasiatischen Landes vom ersten Erdstoß betroffen. In den am stärksten betroffenen Gegenden seien 95 Prozent der Häuser zerstört - dieses Schicksal dürften nun die Menschen im Osten des Landes teilen. „Es sieht so aus, als sei Mutter Natur verärgert“, sagt Badri Bhandari, Bewohner von Thumpakhar in Sindhupalchowk. „Wir sind schon arm, aber die Natur will uns nun das bisschen, das wir noch haben, auch noch wegnehmen.“