Fragen und Antworten Ein für alle Mal Klarheit nach der EuGH-Entscheidung?
Luxemburg (dpa) - Wer darf über den Abschluss von Freihandelsabkommen entscheiden? Auf diese Frage haben Richter des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) eine mit Spannung erwartete Antwort gegeben. Für die EU und auch für das Brexit-Land Großbritannien steht nun viel auf dem Spiel.
Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Worum ging es genau?
Vor allem um die Frage, wann nationale Parlamente wie der Bundestag direkt an der Entscheidung über den Abschluss von Freihandelsabkommen beteiligt werden können. Die EU-Kommission, die solche Verträge im Auftrag der Mitgliedstaaten aushandelt, war der Meinung, dass nach EU-Recht lediglich eine Mitwirkung des Europaparlaments und des Ministerrats als Vertretung der Mitgliedstaaten vorgesehen ist. Diese Auffassung hat der EuGH nun als falsch zurückgewiesen. Als Musterfall haben die Richter das zwischen 2010 und 2014 ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Singapur untersucht.
Werden nationale Parlamente nun immer ein Veto-Recht haben?
Zumindest dann, wenn es die Regierungsvertreter im EU-Ministerrat wollen. Eine eindeutige Pflicht zur Beteiligung von nationalen Parlamenten hätte sich nur dann ergeben, wenn der EuGH entschieden hätte, dass Teile des Abkommens mit Singapur in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Dies hat er nicht getan.
Wie argumentierte die EU-Kommission in dem Verfahren?
Die Brüsseler Behörde verwies darauf, dass die Handelspolitik nach den geltenden EU-Verträgen in die alleinige Zuständigkeit der EU-Institutionen fällt. Sie fürchtet, dass für Europa vorteilhafte Abkommen scheitern könnten, wenn nicht nur das Europaparlament, sondern auch Parlamente in Mitgliedstaaten zustimmen müssen. Bereits das Nein aus einem EU-Staat würde nämlich reichen, um ein Projekt zu Fall zu bringen. Die demokratische Legitimation ist nach Ansicht der EU-Kommission durch die Mitwirkung des EU-Parlaments gewährleistet. Die Europaabgeordneten seien schließlich demokratisch von allen EU-Bürgern gewählt.
Apropos Furcht: Sind die Brüsseler Ängste gerechtfertigt?
Die Erfahrungen des vergangenen Jahres sprechen dafür. Im Frühjahr stimmten die Wähler in den Niederlanden mehrheitlich gegen das Partnerschaftsabkommen der EU mit der Ukraine. Der von den übrigen 27 EU-Mitgliedstaaten schon ratifizierte Vertrag konnte nur durch lange Verhandlungen über eine Zusatzerklärung gerettet werden. Im Herbst gab es dann das Drama um das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta). Es wäre fast gescheitert, weil die politische Führung der belgischen Region Wallonie der Föderalregierung in Brüssel die notwendige Zustimmung zur Unterzeichnung des Abkommens verweigerte. Für die EU war die Hängepartie international eine Blamage, es stellte sich die Frage nach der Handlungsfähigkeit.
Wie stehen die Regierungen der EU-Staaten zu der Sache?
Gerade in Ländern wie Deutschland und Österreich wird eine Einbeziehung der nationalen Parlamente wegen der kritischen Öffentlichkeit für unverzichtbar gehalten. So hatte der damalige SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei den Ceta-Verhandlungen klar gemacht, ohne Zustimmung von Bundestag und Bundesrat könne es kein Ja aus Deutschland zum Abkommen geben.
Was war relevant für das EuGH-Gutachten?
In den EU-Verträgen ist in allgemeiner Form festgelegt, welche Politikbereiche in die alleinige Zuständigkeit der EU-Institutionen fallen und in welchen Politikbereichen die Nationalstaaten alleine beziehungsweise zusammen mit den EU-Institutionen zuständig sind. Die Richter des EuGH schauten sich nun alle Teile des Abkommens an und klärten, in welche Zuständigkeitskategorie sie fallen. Letztlich sahen sie lediglich in zwei Bereichen eine geteilte Zuständigkeit. Nur einer hätte allerdings schon gereicht, um den EU-Institutionen die alleine Zuständigkeit für das Abkommen zu entziehen.
In welchen Bereichen sieht der EuGH eine geteilte Zuständigkeit?
Als Grund für seine Entscheidung führte der EuGH die geplanten Regeln zur Streitbeilegung zwischen Staaten und Investoren auf. Bestimmungen, die Streitigkeiten der gerichtlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten entziehen, könnten nicht ohne deren Einverständnis eingeführt werden, urteilten die Richter. Zudem lägen auch Bestimmungen zu Auslandsinvestitionen nicht in ausschließlicher Zuständigkeit der EU-Institutionen. Dabei gehe es zum Beispiel um Regeln für den Informationsaustausch und Transparenzpflichten.
Welche Konsequenzen wird das EuGH-Gutachten haben?
Sicher ist, dass es künftig deutlich länger dauern wird, bis Handelsabkommen endgültig in Kraft treten können. Relevant könnte das auch für das Großbritannien sein. Die Briten wollen sich nach dem für 2019 geplanten EU-Austritt einen möglicht uneingeschränkten Zugang zum europäischen Binnenmarkt erhalten - voraussichtlich mit Hilfe eines Freihandelsabkommens.
Werden die Handelspartner die möglichen Verzögerungen akzeptieren?
Ihnen wird nichts anderes übrig bleiben, wenn sie mit der EU Freihandelsabkommen abschließen wollen. Es bleibt zudem die Möglichkeit, den Großteil der Regelungen bereits vor der endgültigen Ratifizierung in Kraft treten zu lassen - dabei handelt es sich in der Regel um all diejenigen, die in die alleinige Zuständigkeit der EU-Institutionen fallen. Unklar bleibt jedoch, was passiert, wenn ein nationales Parlament dann die Zustimmung zum vollständigen Inkrafttreten des Abkommens verweigert. Niemand hat bislang eine Antwort auf die Frage, wie lange ein Abkommen vorläufig angewendet werden darf. Vermutlich müsste wieder der Europäische Gerichtshof eingeschaltet werden.