Ein Gipfel fürs Grundsätzliche: Europa muss sich entscheiden
Berlin/Brüssel/Athen (dpa) - Sondergipfel in Brüssel hat es schon viele gegeben in den letzten Jahren, Krisengipfel auch, und meistens ging es um Griechenland. Das letzte Treffen dieser Art ist gerade zwei Wochen her.
Diesmal aber geht es ums Eingemachte.
Gibt es nach dem Referendum der Griechen noch eine Zukunft für das Land im Euro? Wo ist überhaupt eine Grundlage für Verhandlungen? Viele meinen, es könne in Europa nicht so weiter gehen wie bisher. Oder doch?
Jetzt, wo es ernst wird, besinnt man sich immerhin auf Bewährtes. Die viel beschworene Achse Berlin-Paris hatte in letzter Zeit nicht immer so effektiv wie im Ukraine-Konflikt funktioniert. Aber jetzt rücken Kanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande auch in der Griechenland-Krise demonstrativ zusammen.
Kaum ist das Nein der Griechen zu den Spar- und Reformauflagen der Geldgeber offiziell, fordern sie für Dienstag den neuerlichen Gipfel der Eurozone. Diesem Wunsch der beiden mächtigsten Chefs kann sich niemand entziehen. Frankreichs Finanzminister Michel Sapin sieht es so: „Es wird keine Lösung gefunden werden können, wenn es sie nicht zwischen Angela Merkel und François Hollande gibt.“
BRÜSSEL IM DILEMMA: Schon in der Nacht, die Enttäuschung über das Nein der Griechen war noch frisch, beginnen in Brüssel Telefonate und Gespräche. Viel Zeit bleibt nicht. Die Europäer warten auf neue Vorschläge aus Athen. Die will Regierungschef Alexis Tsipras am Dienstag präsentieren. Doch die Stimmung ist vergiftet. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nimmt das griechische Nein auch persönlich.
Ein drittes Hilfspaket - unabhängig von humanitären Hilfen aus diversen EU-Töpfen oder von Entwicklungsbanken - könnte nur aus dem Euro-Rettungsfonds ESM kommen - und das nach strengen Regeln und nach einem neuen und vermutlich nervenaufreibenden Gefeilsche zwischen Athen und den Geldgebern.
Sollte Tsipras ESM-Hilfen beantragen, könnten die Euro-Länder in einen Erklärungsnotstand geraten: ESM-Hilfen soll es nur im Notfall geben, wenn die „Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten“ gefährdet ist. Seit Tagen aber betonen Vertreter der Euro-Zone und Brüssels, dass wegen Griechenland keine Ansteckungsgefahr drohe und die Währungsunion inzwischen robuster sei als zu Beginn der Finanzkrise.
Übrigens: Auf den Finanzmärkten sehen Anleger bei einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone („Grexit“) nicht nur keine Ansteckungsgefahren mehr. Sie rechnen gar mit einer Stärkung des Euro. In den vergangenen drei Monaten legte der Euro zu, obwohl ein „Grexit“ immer näher rückt.
BERLIN IN DER DEFENSIVE
Regierungssprecher Steffen Seibert wird am Montagmittag deutlich: „Angesichts der gestrigen Entscheidung der griechischen Bürger gibt es zurzeit nicht die Voraussetzungen, um in Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm einzutreten.“ Am Nachmittag telefoniert die Kanzlerin mit Tsipras. Er kündigt an, neue Vorschläge nach Brüssel mitzubringen. Aber welche? Da gab es schon manche Enttäuschung.
Am Ende geht es um die Grundsatzfrage, ob die wesentlich von der deutschen Kanzlerin durchgesetzte Politik von Spar- und Reformauflagen gegen Hilfspakete gescheitert ist. Merkel hat für ihre Linie das Wort der „wachstumsfreundlichen Konsolidierung“ erfunden. Sie bestreitet nach wie vor, dass es einen Konflikt zwischen Sparpolitk und Wachstum gibt. Aber die Griechen sehen sich als Opfer einer Knebelpolitik, die Arbeitslosigkeit und Armut erhöhe, ohne den Schuldenabbau voranzubringen. Die deutsche Linke ist da ganz auf der Seite ihrer Partnerpartei Syriza.
Die Grünen versuchen es mit Kompromissbereitschaft: „Oberstes Ziel muss jetzt sein, Europa zusammen zu halten, mit Griechenland als einem Teil der Gemeinschaft. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Euro auseinanderbricht. Dafür braucht es die Bereitschaft zu einem fairen Kompromiss von allen Seiten“, schreibt die Fraktionsspitze. Sollte der Bundestag über ein neues Hilfspaket abstimmen, oder auch nur über die Aufnahme von Verhandlungen, wird Merkel die Grünen-Stimmen vielleicht brauchen. Denn in der Union wächst der Widerstand.
Die Geduld mit Griechenland geht nicht nur bei notorisch kritischen Konservativen zu Ende. Auch der Historiker Heinrich August Winkler hält einen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro für „brandgefährlich“ - allerdings nur für Griechenland selbst. Die Eurozone würde durch einen Austritt eher stabilisiert. Griechenland habe seine Aufnahme in die Währungsunion „nur mit Betrug erreicht - und glaubte, sich so durchmogeln zu können“, sagte er dem „Stern“.
DIE LAGE IN GRIECHENLAND:
Wieder einmal reist Tsipras mit neuen Vorschlägen nach Brüssel. Er hofft offensichtlich auf eine Brücken-Regelung, um wenigstens die nächsten Milliardenzahlen begleichen zu können. So könnten die griechischen Banken selbst unter Beibehaltung der Kapitalverkehrskontrollen erst einmal weiter machen. Schon am 20. Juli sind 3,5 Milliarden an die Europäische Zentralbank (EZB) fällig. Bisher hatte Tsipras gefordert, dass der Rettungsschirm ESM die EZB-Schulden übernimmt.
Ziel der Links-Rechts-Regierung bleibt es, weitere Sparmaßnahmen abzuwenden. Reformen sind nach Ansicht Athens möglich, weitere Kürzungen im Sozialsystem aber nicht. Eine Erhöhung des Rentenalters für alle auf 67 Jahre oder auf 62 nach 40 Jahren Beschäftigung wäre wohl auch innenpolitisch in Athen durchsetzbar.
Die Lage vieler Menschen in Griechenland ist derweil prekär. Noch gibt es aber keine wesentlichen Engpässe bei Lebensmitteln. Problematisch ist die Situation im Gesundheitssystem. Zunächst fehlen Hilfsmittel wie Handschuhe, Watte und medizinisches Gerät. Ein baldiger Engpass bei den Medikamenten wird aber befürchtet.
Und wieder richten sich alle Augen auf die EZB. Deren Notkredite sind seit langem einzige Geldquelle für die Griechen. Den Hellas-Banken geht langsam, aber sicher das Geld aus. Bald dürften sie schon nicht mal mehr die aktuell 60 Euro pro Tag auszahlen können. Sie sind daher dringend auf neue Notkredite der EZB angewiesen.
Sollten die griechischen Banken nach der tagelangen Sperre wieder öffnen, ist ein massiver Ansturm zu befürchten - mit der Folge, dass die Geldhäuser binnen weniger Minuten ganz zusammenbrechen. Das wäre dann wieder eine neue Dimension im Drama um Griechenland - aber sicher nicht sein Ende.