70.000 Besucher erwartet Ein Katholikentag zwischen Frittenqualm und Kirchenfolklore
Münster (dpa) - In schwarzer Tracht steht eine Nonne neben einem blauhaarigen Hippie im Münsteraner Dauerregen, Wolfgang Thierse stapft entschlossen vorbei.
Mit schwarzem Regenschirm, dunkelblauem Sakko und schwarzer Hose ignoriert der Ex-Bundestagspräsident die skurrile Vorstellung einer Hip-Hop-Tanzgarde auf der kleinen Bühnen nebenan, lässt die Pommesbude links liegen. Thierse hat gleich einen Termin, will mit Bürgern auf dem 101. Katholikentag über die Annäherung von katholischer und evangelischer Kirche diskutieren. Nicht im Hörsaal, nicht in einer Kirche, sondern direkt hier: in der provisorischen Zeltsiedlung am Schlossplatz, mitten im Trubel.
Menschenmassen pressen sich durch die engen Gassen vorbei an etlichen Ausstellerzelten. Weihrauchduft vermischt sich mit Frittenqualm. Am Getränkestand wartet der Ordensmann in der Schlange hinter dem Fahrradkurier, der Flaschensammler lauert in sicherer Entfernung auf seine Chance. Thierse baut sich in einem Mini-Zelt auf, er gestikuliert, argumentiert. Im Vorbeigehen bleiben im Regen ein paar Menschen stehen, „ist das nicht der eine aus dem Bundestag?“, in Rufweite spielen Kinder unüberhörbar Fangen.
Schon das Programmheft, fast 700 Seiten dick, hatte ein thematisches Durcheinander für diesen Katholikentag versprochen. Orgelmusik aus dem Ersten Weltkrieg, „Komm, wir bauen eine Friedensstadt!“, Weihrauch-Tasting, „Beim Crossboccia-Spielen der Friedensbotschaft auf der Spur“, Schwertfechten für Männer und Frauen, „Online beten - wie geht das?“, meditatives Bogenschießen, „Dschihad Calling“, 100 Jahre Frauenwahlrecht, „Unser Sound als Paar“. Es gibt sogar einen Tretbootgottesdienst auf einem künstlich angelegten Münsteraner Stausee. Die mehr als 1000 Veranstaltungen, vornehmlich gepresst in drei Haupt-Programmtage, bieten den 70.000 Besuchern ein Wirrwarr an Möglichkeiten und spirituellen Kuriositäten.
Die große Politik, die großen Podiumsdiskussionen mit Bundespräsident Steinmeier, Kanzlerin Merkel und etlichen Ministern aus dem Bundeskabinett spielen nur für die wenigsten eine Rolle. Die Mehrheit der 50.000 Dauerkarteninhaber und mindestens 20.000 Tagesausflügler begreift das größte Laientreffen der katholischen Kirche in Deutschland vor allem als netten Wochenendausflug, als Volksfestbesuch mit Bratwurst und etwas Kirchenfolklore.
Da ändert auch die Tatsache wenig dran, dass der Katholikentag nicht zum günstigsten Zeitpunkt für die zerstrittene katholische Kirche kommt. Die mögliche Segnung homosexueller Paare sorgt ebenso für Zerwürfnisse unter den katholischen Geistlichen wie der jüngste Beschluss des bayerischen Kabinetts zu Kreuzen in Behördengebäuden.
Im Mittelpunkt der Debatte steht aber die Teilnahme protestantischer Ehepartner an der katholischen Kommunion im Einzelfall. Von der Bischofskonferenz war diese eigentlich beschlossen worden - doch sieben Bischöfe begehrten öffentlich dagegen auf, wandten sich an den Vatikan und befeuerten den Streit. Insbesondere liegen zwei der ranghöchsten deutschen Katholiken - der reformorientierte Münchner Kardinal Reinhard Marx und der konservativ eingestellte Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki - in der Sache überkreuz.
„Eine Mehrheit entscheidet, eine Minderheit läuft nach Rom“, sagt Thierse dazu bei seinem Auftritt in der Zeltstadt vor vielleicht 50 Zuhörern. Eine ältere Frau um die 70, Brille, roter Turnbeutel, ruft Thierse ketzerisch zu: „Woelki und Marx, zwei unverheiratete Männer, tragen etwas aus, wovon sie keine Ahnung haben.“ Die Leute lachen.
Ansonsten herrscht eine heitere Freibier-Stimmung, die Menschen streunen eifrig durch die Zeltsiedlungen, in der sich rund 350 vornehmlich kirchliche Gruppen präsentieren. Eine mobile Zeltkirche samt Kreuz und Holzbänken aus einem echten Gotteshaus ist aufgebaut, ein Luftballon mit der Aufschrift „Friedensengel unterwegs“ steigt in die Höhe. Das Thema Frieden ist groß diesmal, auch im Souvenirshop. Das Armband mit dem Slogan „Suche Frieden“, tauglich „für Jung und Alt“, wie der Verkäufer stolz berichtet, kostet zwar nur 1 Euro, ist aber schon vergriffen; Handtücher sind ab 7,50 Euro zu haben.
In einem Zelt gibt es gar „Friedensbotschaften to go“, zum Mitnehmen also. Und zwar in Form von Turnbeuteln, auf die mit Wasserfarben und Schablonen vier verschiedene Bilder gemalt werden können: eine Kiwi, eine Zitrone, eine Erdbeere, ein Apfel. Was das mit Frieden zu tun hat? „Es geht drum, auch mal zwei verschiedene Bilder auf einen Turnbeutel zu malen, so vermischt sich das Ganze“, sagt der Fachmann.
Eine Freiluftbühne weiter ist nichts los, kein einziger Zuhörer, obwohl zwei Moderatoren seit einer Ewigkeit launisch rumquasseln. „An alle, die jetzt passiv zuhören, um zehn nach eins geht's weiter“, plärrt die Moderatorin mit Schiebermütze ins Mikrofon, ihr Kompagnon verspricht überzeugt: „Es wird schön, wir versprechen's!“