Experten erforschen Haltbarkeit von Reaktoren

Dresden (dpa) - 40 Jahre Laufzeit für ein Kernkraftwerk sind tief in den Labors in der Rossendorfer Erde längst kein Thema mehr. Das Wörtchen „Lang“ steht dort eher für 60 oder 80 Jahre.

„Longlife“ heißt ein von der EU gefördertes Projekt, an dem die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf zusammen mit internationalen Partnern arbeiten, und der Name ist Programm.

„Was da jetzt geplant war, ist durch unser heutiges Wissen ja längst abgedeckt“, sagt Abteilungsleiter Eberhard Altstadt und meint die eigentlich beschlossene, derzeit aber ausgesetzte Laufzeitverlängerung für die 17 deutschen Reaktoren. Sie würde am Ende Laufzeiten zwischen 40 und 50 Jahren bedeuten. Zum Vergleich: Das bei Erdbeben und Tsunami beschädigte japanische Kraftwerk Fukushima ist auch schon 40 Jahre alt.

Altstadt und sein Team untersuchen in ihren unterirdischen Labors, was es für die Druckbehälter im Reaktor bedeutet, noch wesentlich länger der Bestrahlung mit schnellen Neutronen ausgesetzt zu sein. Wann wird das Material spröde, wann drohen Schäden - zum Beispiel bei einer Notkühlung, wenn die Temperatur im Behälter schlagartig gesenkt wird? Bisher sei noch kein Reaktordruckbehälter aus diesem Grund kaputtgegangen, betont Altstadt.

Es gibt heute auch noch keinen Reaktor, der 60-80 Jahre gelaufen ist und nun untersucht werden könnte. Erkannt haben die Wissenschaftler schon, dass es einen Unterschied machen kann, ob das Material lange mit geringer oder kurz mit hoher Intensität bestrahlt wird - auch wenn die Strahlendosis im Ergebnis dieselbe ist. Das erschwert die ganze Sache, denn dadurch wird es schwierig, 60, 80 oder noch mehr Jahre Bestrahlung im Zeitraffer zu simulieren.

Hinter dicken Bleiplatten unter der Rossendorfer Erde, nur zu sehen durch kleine Bleiglasfenster, liegt das Material, das Altstadt und seinen Kollegen für ihre Forschungen zur Verfügung steht: Proben aus den Reaktordruckbehältern des einstigen Kernkraftwerkes Greifswald, zerkleinert in handliche, aber eben auch strahlende Klötzchen.

Alle waren einst unterschiedlich lange der Strahlung ausgesetzt, einige wurden zwischendurch per Wärmebehandlung ausgeheilt, andere nicht. Jedes Klötzchen wird - ferngesteuert mit Greifarmen - in einem Schutzraum, der „heißen Zelle“, zerhämmert, zerrissen oder zerbrochen. Aus Reaktion und Beschaffenheit des Materials nach dem Versuch können die Forscher Rückschlüsse auf den Einfluss von Strahlung und Temperatur ziehen.

Eine Blaupause für andere Reaktoren sei das aber nicht, betont Altstadt. Dafür gebe es viel zu viele Unterschiede in den Anlagen, zum Beispiel den sogenannten Wasserspalt zwischen Brennelementen und Druckbehälter, der die Strahlung mildern soll. „In Deutschland sind das 70 Zentimeter, bei den russischen Druckwasserreaktoren vom Typ WWER-440 sind es nur 16 Zentimeter“, sagt Altstadt. Je weniger Wasser, desto größer die Intensität, mit der schnelle Neutronen auf den Druckbehälter treffen und das Material verspröden. Das habe immensen Einfluss. Dazu komme, dass verschiedene Reaktoren im Normalbetrieb auch bei verschiedenen Temperaturen arbeiteten. Auch das mache einen gewissen Unterschied.

Was beim Bau der Druckbehälter in den ersten Kraftwerken einst Verwendung fand, hat sich nach Altstadts Einschätzung aber aus heutiger Sicht als richtige Wahl erwiesen. „Die Materialien sind weitgehend optimiert“, sagt er und verweist auf Neubauten in Finnland und Frankreich. „Das Material dort entspricht dem der modernen, jetzt laufenden Kraftwerke.“ Austauschen wäre ohnehin nicht möglich. „Die Druckbehälter sind das teuerste am ganzen Kraftwerk“, erklärt er. „Da könnte man besser gleich ein neues bauen.“