Experten: Ungünstige Wetterlage führte zu Hochwasser
Berlin (dpa) - Starker Dauerregen und Hochwasser haben weite Teile Süd- und Ostdeutschlands in Katastrophengebiete verwandelt. Erinnerungen an das Jahrhunderthochwasser von 2002 werden wach. Fragen und Antworten:
Wie konnte es zu dem aktuellen Hochwasser kommen?
Der Hydrologe Ulrich Barjenbruch von der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz sieht die Ursache in einer „ungünstigen Konstellation“ aus zwei Tiefdruckgebieten im Süden und Osten. Sie habe sowohl in Bayern als auch in Sachsen und Tschechien für starken Regen gesorgt. Auch Thomas Deutschländer, Klimaexperte beim Deutschen Wetterdienst (DSW) in Offenbach, spricht von einer „etwas ungewöhnlichen“ Wetterlage.
Hat das Hochwasser etwas mit dem Klimawandel zu tun?
„Wir können erst von Klimawandel reden, wenn wir feststellen, dass so etwas häufiger passiert. Ein Einzelereignis sagt wenig bis gar nichts aus“, sagt der Experte Deutschländer. Die Hauptaussage des Klimawandels sei, dass es wärmer werde. „Generell gehen wir davon aus, dass die Winter in Deutschland wärmer und feuchter werden. Im Sommer soll es wärmer werden, aber eigentlich trockener. Es gibt Anzeichen dafür, dass, wenn es mal regnet, dann regnet es richtig.“
Wie ist es zu erklären, dass selbst kleine Bäche und Flüsse so schnell anschwellen und gefährlich werden?
„Bäche oder kleine Flüsse im Mittelgebirge liegen öfter im Einschnitt und haben deswegen wenig Auenflächen, in denen sich das Wasser ausbreiten könnte“, erläutert Prof. Emil Dister vom Rastatter WWF-Aueninstitut. „Der Niederschlag fließt dort viel schneller zusammen. Vieles hängt von der Nutzung ab. Im Wald bleibt ein Gutteil des Niederschlags im Laub hängen oder versickert im Boden. Wald- oder Wiesenböden halten also viel mehr Wasser zurück als etwa durch Bebauung "versiegelte" Gebiete.“
Auch lägen kleine Flüsse oft inmitten landwirtschaftlich genutzter Flächen. Die Ackerböden dort hätten in der Regel wenig Humusanteil und seien sehr verdichtet, weil schweres landwirtschaftliches Gerät eingesetzt wird. Das Wasser fließe entsprechend schneller ab.
Welche Rolle spielt Bodenversiegelung bei den aktuellen Hochwassern?
Dazu sagt Dister: „Bei großen Flüssen ist der Anteil der bebauten Fläche so gering, dass die Bodenversiegelung dort eigentlich keine Rolle spielt. Wenn Sie den Rhein betrachten, sind zehn Prozent seines Einzugsgebiet urbanisiert. Nur knapp vier Prozent sind tatsächlich versiegelt. Wenn kleinere Flüsse innerhalb von bebauten Gebieten liegen, ist die Bodenversiegelung wegen Bebauung erheblich problematischer.“
Wo gab es Versäumnisse beim Hochwasserschutz?
„Versäumnisse im Hochwasserschutz, sogar enorme Versäumnisse gibt es überall“, meint Fachmann Emil Dister. „Kein Bundesland ist davon ausgenommen, manche mehr, manche weniger. Vor allem bei Deichrückverlegungen sind alle Bundesländer äußerst zögerlich, da sie die Auseinandersetzungen mit der Kommunalpolitik und anderen Interessenvertretern scheuen.“ Generell könne man Hochwässer aber nicht verhindern: „Es sind Naturereignisse.“
Fällt die Ernte ins Wasser?
Vor allem die Spargelbauern und Erdbeerbauern, die jetzt mitten in der Ernte sind, haben nach Angaben des Deutschen Bauernverbands weniger Umsatz und finanzielle Einbußen. Auch Pflanzen wie Kartoffeln und Mais litten unter dem Regen, sagt Verbandssprecher Michael Lohse. Für manche Landwirte könne schönes Wetter in den kommenden Wochen aber noch einiges retten. Europas größter Agrarhandelskonzern BayWa erwartet keine gravierenden Ernteausfälle oder Preisanstiege bei Obst und Gemüse.
Bekommen die Betroffenen Hilfe?
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den vom Hochwasser am stärksten betroffenen Ländern die „volle Unterstützung“ der Bundesregierung versprochen. Die bayerische Staatsregierung will die Folgen der Hochwasserkatastrophe in Passau und Südostbayern mit einem Hilfsprogramm von 150 Millionen Euro lindern. Die EU-Kommission hat Deutschland, Österreich und Tschechien finanzielle Hilfe aus dem Europäischen Solidaritätsfonds angeboten. Der nach dem schweren Hochwasser von 2002 gegründet Fonds sieht Zahlungen an betroffene Länder für Nothilfemaßnahmen vor.
Wie viele Helfer sind im Einsatz?
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind in den Überflutungsgebieten insgesamt 1800 Helfer des Technischen Hilfswerks (THW) und 500 Bundespolizisten im Einsatz. Zudem sind bis zu 1760 Soldaten eingeplant. Für die Feuerwehren ist die Flut nach Verbandsangaben der größte Einsatz seit dem Hochwasser 2002. Fast 28 000 Feuerwehrleute sind seit dem vorigen Wochenende im Einsatz.