Merkel zwischen Hochwasser und anderen Katastrophen

Berlin (dpa) - Hochwasser ist für Betroffene eine Katastrophe, für Politiker kann es die Rettung sein. Dass Gerhard Schröder 2002 das Kanzleramt behaupten konnte, messen viele ein gutes Stück weit seinen Besuchen bei den Menschen in den damals überschwemmten Gebieten Ostdeutschlands zu.

Schröder stapfte in Gummistiefeln und Regenjacke durch die Fluten, sprach Mut zu und kündigte Hilfe an. Weder senkte sich dadurch der Pegelstand, noch machten Elbe oder Mulde einen Bogen um Städte wie Dresden und Grimma. Aber der Kanzler, dessen rot-grüne Regierungsbilanz sich wenig wahlversprechend ausnahm, bekam Sympathiepunkte. Überraschend gewann Rot-Grün die Bundestagswahl.

An diesem Dienstag geht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an die Wasserfront nach Passau. Vergleiche hinken oft. Und so gibt es Unterschiede zwischen Schröder 2002 und Merkel 2013. Die SPD lag damals in den Umfragewerten hinter der Union mit ihrem Kandidaten Edmund Stoiber (CSU). Die Merkel-Union liegt heute weit vor den Sozialdemokraten mit ihrem Kandidaten Peer Steinbrück. Aber eine Schnittmenge gibt es doch: Es läuft politisch nicht gut.

So wie Schröder damals mit hoher Arbeitslosigkeit und schlechten Wirtschaftsdaten zu kämpfen hatte, machen Merkel die „Euro-Hawk“- Affäre ihres Verteidigungsministers Thomas de Maizière und die Debatte über ihre teuren Wahlkampfversprechen zu schaffen. Da können Bilder einer nahbaren Kanzlerin und obersten Christdemokratin mit in Not geratenen Bürgern neues Vertrauen schaffen. Wähler verspüren in bedrohlichen Situationen bekanntlich selten Wechselstimmung. Sie zählen lieber auf die Hilfe der Regierung und setzen auf Kontinuität.

Man muss aufhorchen, wenn selbst Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagt, dass es bei de Maizières Aufklärung der Affäre an diesem Mittwoch in Bundestagsausschüssen um dessen Zukunft gehe. Zwar betont Kauder zugleich, dass de Maizière Minister bleiben werde. Aber die Formulierung mit der Zukunft ist heikel, denn sie macht erst richtig deutlich, wie schwerwiegend der Skandal um die teure Fehlplanung der Aufklärungsdrohne „Euro Hawk“ ist.

De Maizière, ein enger Vertrauter und seit vielen Jahren höchst loyaler Mitstreiter Merkels wurde bis vor kurzem noch als ihr einziger möglicher Nachfolger in Kanzleramt oder Partei genannt. Alle einstigen Hoffnungsträger der CDU sind entweder gescheitert oder in die Wirtschaft gewechselt. Die Spitzenpersonaldecke bei der CDU gilt als so dünn, dass im Falle eines Rücktritts de Maizières selbst für das Amt des Verteidigungsministers erst Namen gesucht werden müssten.
Und als potenzieller Kanzler oder Parteichef stünde niemand mehr auf der Liste.

Dann sind da noch Merkels Ankündigungen von milliardenteuren Verbesserungen für Kinder, Mütter, Mieter - bei gleichzeitiger Konsolidierung des Haushalts. Die Opposition ist empört, die SPD spricht von Wahlbetrug, weil das alles leere Versprechungen seien. Kritisch an Merkels Vorgehen ist wohl kaum die Tatsache, dass sie damit Wahlkampf macht. Auch die SPD hatte sich im Wahlkampf einst etwa gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gestemmt und sie dann in Regierungsverantwortung mit der Union um drei Prozentpunkte erhöht.

Die drängende Frage ist nur: Mit wem will Merkel ihre Ideen umsetzen? Denn sie will wieder mit der FDP koalieren, an der ein Teil der CDU-Pläne in dieser Wahlperiode gescheitert ist. Nebenbei: Die Union hat noch gar kein Wahlprogramm. Als letzte Parteien und ohne Parteitag entscheiden die Spitzengremien von CDU und CSU erst am 23. und 24. Juni über ihr gemeinsames Papier. Bis dahin haben sie Zeit, sich inhaltlich in Position zu den anderen Parteien zu bringen, die alle schon geliefert haben. Das trägt Merkel den Vorwurf ein, im eigenen Programm auch möglichst viele Inhalte der Konkurrenz aufzugreifen, um die breite Masse der Bevölkerung zu erreichen, ohne eigene Vorstellungen in der eigenen Partei durchgekämpft zu haben.

Ob Merkels Reise in die überfluteten Gebiete auch Einfluss auf die Umfragewerte haben könnte, wird ihr Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin gefragt. Das sei ein „abseitiger Aspekt“, sagt Seibert und schüttelt den Kopf. Es sei völlig normal, dass sich die Bundeskanzlerin ein Bild vor Ort machen und ihren Beitrag dazu leisten wolle, Schäden abzuwenden. Schröder sagte übrigens später einmal der Wochenzeitung „Die Zeit“, die Bilder, die ihn in Gummistiefeln im Hochwassergebiet zeigten, hätten 2002 „sicherlich nicht geschadet“.