Fragen und Antworten: Reform mit Pferdefuß?
Berlin (dpa) - Das Gesetz schützt Frauen in Deutschland nach dem Grundsatz „Nein heißt Nein“ bald besser gegen Sexualstraftäter. Ein erheblich verschärftes Strafrecht hat der Bundestag einstimmig verabschiedet, der Bundesrat befasst sich damit im September.
Dann ist die für manche Kritiker allzu weitreichende und in der juristischen Praxis problematische Reform durch. Trotz aller Einwände ist sich die große Koalition einig, dass ihr Gesetz gut ist. Die Opposition ärgert sich über eine Reform im Windschatten.
Was hat der Bundestag im Kern beschlossen?
Sexuelle Gewalt kann nach der Neuregelung künftig leichter geahndet werden. Der von allen Fraktionen begrüßte Grundsatz „Nein heißt Nein“ bedeutet, dass sich nicht nur derjenige strafbar macht, der Sex mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt. Nun soll ausreichen, wenn sich der Täter über den „erkennbaren Willen“ des Opfers hinwegsetzt. Dann drohen bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. „Wenn Täter nicht bestraft werden können, bedeutet das für die Opfer eine zweite bittere Demütigung“, betont Justizminister Heiko Maas (SPD). Beim „Nein heißt Nein“ gab es auch keinerlei Dissens, sondern das einstimmige Ja des Bundestages.
Was hat die Koalition im Laufe der Reform-Verhandlungen ergänzt?
Hinzugekommen sind die Straftatbestände der sexuellen Belästigung und - vor allem auf Druck der Union - der sexuellen Angriffe aus einer Gruppe heraus. Diese Zusatzpunkte gehen auf die massenhaften Übergriffe in der Silvesternacht zurück - nach Zeugenaussagen waren die Täter überwiegend junge Männer aus dem arabisch-nordafrikanischen Raum. „Grapschen ist kein Flirten, und das muss jetzt auch der Letzte begriffen haben“, sagte die hörbar bewegte SPD-Vizefraktionschefin Carola Reimann. Problematisch ist aber aus Sicht von Grünen und Linken, dass hier verschiedene Tatbestände unzulässig oder gar verfassungswidrig verknüpft werden.
Worüber regt sich die Opposition konkret auf?
Mit der Strafbarkeit von Sexualdelikten aus einer Gruppe - wie in Köln - lenke die Koalition „den Blick vom Selbstbestimmungsrecht der Frau auf den Täter“ und produziere Fremdenfeindlichkeit. Da zeige sich „das Politikverständnis weißer alter Männer“, schäumt die Linke-Rechtsexpertin Halina Wawzyniak. Die SPD-Kollegin Elke Ferner entgegnet: „Jeder in einer Gruppe hat die Möglichkeit, einzugreifen“ und eigener Schuld zu entkommen. Die Grünen beklagen das Problem der Beweisbarkeit von Sexualattacken aus einer Menschenmasse. Beide Oppositionsparteien kritisieren, dass das Sexualstrafrecht künftig Konsequenzen im Aufenthaltsgesetz habe - weil eine Verurteilung auf wackliger Rechtsbasis schneller zur Ausweisung führen könne.
Wie kam es zu der Gesetzesreform?
Deutschland muss internationale Rechtsnormen umsetzen, daher erarbeitete das Bundesjustizministerium einen zunächst weniger weit gehenden Gesetzentwurf. Im März - also mehrere Wochen nach den Kölner Sexualdelikten - segnete das Kabinett den Vorschlag ab. Der ging vielen Fachleuten, Politikern und auch dem Bundesrat aber noch nicht weit genug, weil unter anderem das Prinzip „Nein heißt Nein“ nicht klar festgeschrieben war. Maas, der früher oft auf Beweisprobleme in diesem intimen Bereich hingewiesen hatte, bezog viel Prügel. Er wurde am Donnerstag von der SPD-Rechtsexpertin Eva Högl getröstet: Erst in jüngster Zeit hätten sich Möglichkeiten ergeben, „weiter zu gehen“ und das Sexualstrafrecht „ganz ordentlich“ zu verschärfen.
Hat der Fall Gina-Lisa die Debatte weitergebracht?
Zumindest bewirkte der Streit um das Model Gina-Lisa Lohfink und die juristischen Folgen einer Partynacht vor vier Jahren eine starke Emotionalisierung. Denn es ging unter anderem darum, was eine Vergewaltigung ist und was nicht. Mit der 29-Jährigen hatte die ohnehin hitzige Diskussion ein Gesicht - andere sagen indes: Das Beispiel passt nicht. Frauenrechtlerinnen meinen, auch hier habe zu gelten: Eine Frau muss nicht schreien oder sich körperlich wehren, sexuelle Handlungen gegen ihren Willen sind trotzdem Unrecht.
Was sagen Skeptiker außerhalb der Politik?
Nach Ansicht der Kieler Sexualstrafrechtsprofessorin Monika Frommel ist die Reform zu Gruppenstraftaten „offenkundig verfassungswidrig“. Denn dann könne im Fall einer Vergewaltigung bestraft werden, wer nur Teil der Gruppe, aber an der Tat nicht beteiligt gewesen sei. Das neue Gesetz werde auch kaum zu einer Verbesserung der Verhältnisse führen. Schon seit der Reform des Vergewaltigungsparagrafen von 1997 sei die Zahl der Sexualdelikte fast um die Hälfte zurückgegangen. Unbehagen wird auch in Feuilletons großer Zeitungen formuliert. Eine „Zeit“-Autorin sieht für die Geschlechterverhältnisse eine Katastrophe herannahen: „Was leidenschaftliche Liebesnacht und was Vergewaltigung war, definiert die Frau künftig am Tag danach.“