„Freitag der Wut“ in Ägypten versinkt in der Gewalt

Kairo (dpa) - Der von Islamisten ausgerufene „Freitag der Wut“ hat in Ägypten eine neue Eskalation der Gewalt heraufbeschworen. Mindestens 80 Menschen starben nach Angaben aus Sicherheitskreisen bei landesweiten Straßenkämpfen zwischen Demonstranten und der Polizei.

Etwa 300 weitere wurden verletzt. Der Westen zeigt sich schockiert vom blutig ausgetragenen Konflikt zwischen den entmachteten Islamisten und den neuen Machthabern. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will die Beziehungen zu dem Land auf den Prüfstand stellen. Sie forderte nach einem Telefonat mit dem französischen Präsidenten François Hollande ein Ende des Blutvergießens.

Wegen der Unruhen verschärfte das Auswärtige Amt seine Reisehinweise für das Land. Neu ist, dass nun auch von Reisen in die Urlaubsgebiete am Roten Meer um Hurghada und Scharm el Scheich abgeraten wird. Vor Reisen etwa nach Kairo oder ins Nildelta wurde bereits zuvor „dringend abgeraten“. Die meisten deutschen Veranstalter sagten bis Mitte September alle Reisen in das Land ab. Auch viele andere EU-Länder reagierten mit Reisewarnungen.

Zu den Protesten nach den Freitagsgebeten hatten die islamistische Muslimbruderschaft und verschiedene radikale Islamisten-Parteien aufgerufen. Zehntausende Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi, der aus der Muslimbruderschaft stammt, gingen auf die Straße und schrien ihre Wut über das Blutvergießen in ihren Protestlagern heraus.

Der seit Wochen schwelende Machtkampf zwischen Islamisten und Mursi-Gegnern war am Mittwoch eskaliert, als Sicherheitskräfte zwei zentrale Camps der Muslimbrüder in Kairo gewaltsam geräumt hatten. Das Vorgehen der Polizei und anschließende Angriffe von Islamisten forderten bislang etwa 600 Todesopfer. Die Islamisten pochen auf die Wiedereinsetzung Mursis, der seit seiner Absetzung durch die Armee am 3. Juli an einem geheimen Ort festgehalten wird.

Die meisten Opfer gab es am Freitag am Rande der zentralen Kundgebung am Ramses-Platz in der Innenstadt von Kairo. Dort hatten sich etwa 20 000 Islamisten und deren Anhänger versammelt. Der Muslimbruderschaft zufolge erschoss die Polizei hier 45 Demonstranten. Beamte des Innenministeriums erklärten hingegen, Dutzende Demonstranten hätten die nahe gelegene Ezbekija-Polizeistation attackiert. Daraufhin sei ein Feuergefecht entbrannt, bei dem mehrere unbeteiligte Zivilisten getötet worden seien. Am Abend nahm die Polizei nach eigenen Angaben Extremisten fest, die in ihren Autos Waffen zum Ramses-Platz bringen wollten.

Experten befürchten, dass die Lage weiter eskalieren könnte. Denn die Polizei hat Order, mit scharfer Munition auf Plünderer und Saboteure zu schießen. In mehreren Landesteilen gilt der Notstand. Auch die Verhaftungswelle von hochrangigen Mitgliedern der Muslimbruderschaft geht weiter. Dem Nachrichtenportal youm7 zufolge wurden vor Beginn der Proteste am Freitag vier führende Muslimbrüder festgesetzt.

Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande appellierten an die Dialogbereitschaft der Konfliktparteien in Ägypten. Sie bekräftigten, die EU werde sich über das weitere Vorgehen eng abstimmen. Für die kommende Woche ist dazu ein Sondertreffen der EU-Außenminister geplant. Mehrere Länder gingen auf Distanz zur Führung in Kairo.

Als erste Konsequenz schränkte die Bundesregierung Hilfszahlungen für das Krisenland ein und riet für das komplette Staatsgebiet von Reisen ab. Urlauber, die sich derzeit in den Baderegionen des Landes befänden, könnten ihren Aufenthalt jedoch fortsetzen, da es dort unverändert ruhig sei, sagte ein Sprecher des Branchenprimus Tui.

Der Stopp der Reisen hat auch Folgen für die Flugbranche: Lufthansa-Aktien sackten im Handelsverlauf auf ein neues Tief seit Mitte Dezember ab. Air Berlin fliegt zwar nach Ägypten, neue Flüge können aber bis 15. September nicht mehr gebucht werden. Der Chemiekonzern BASF stellte zudem seine Produktion in dem Land vorerst ein. Auch der Handelsriese Metro schloss Büros und Filialen.

Die USA hatten ihre in Ägypten lebenden Bürger am Donnerstag angehalten, wegen der Unruhen das Land zu verlassen. Präsident Barack Obama verurteilte den harten Kurs der Übergangsregierung scharf und sagte eine gemeinsame Militärübung amerikanischer und ägyptischer Streitkräfte ab. Der UN-Sicherheitsrat rief alle Parteien auf, die „Aggressionen“ einzustellen.

Bei den Ausschreitungen sind nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz auch mehr als 40 Kirchen und christliche Einrichtungen zerstört worden. „Ich bin entsetzt über die zunehmenden Angriffe gegen Christen (...)“, sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, laut einer in Bonn verbreiteten Mitteilung. Er verurteilte die blutigen Zusammenstöße scharf: „Hass und Gewalt weisen keinen Weg aus der politischen Krise und töten jede Hoffnung auf eine friedliche Lösung der Auseinandersetzungen zwischen der Staatsmacht und den Muslimbrüdern.“ Schuldzuweisungen - auch gegen Christen - trügen „weder zur Versöhnung noch zu dem dringend notwendigen Vertrauen in Ägypten bei“.