Haltern in Schockstarre: „Es tut so unsagbar weh“

Haltern (dpa) - Das Leben in Haltern am See steht nicht still, aber auf dem Marktplatz, beim Einkaufen oder in den Cafés gibt es nur ein Thema: Das unfassbare Leid, dass der Flugzeugabsturz in Frankreich über viele Familien in der Kleinstadt mit gut 37 000 Einwohnern gebracht hat.

In den Köpfen der Menschen ist der Moment des Absturzes wie eingefroren. Nicht jeder hat Freunde, Nachbarn oder Verwandte, die das Schicksal getroffen hat. 16 Schüler des Joseph-König-Gymnasium sind seit Dienstag tot. Aber jeder macht sich seine Gedanken. „Da jeder von uns schon einmal geflogen ist, kann sich jeder ja so gut in die Situation der Angehörigen hineinversetzen. Jeder kann mitfühlen, wie das sein muss“, erzählt eine Frau in einem kleinen Café in der Innenstadt.

Ihr gegenüber sitzt eine Frau, deren Nachbarin ein Kind verloren hat. „Ich bin froh, dass ich ihr noch nicht begegnet bin. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll“, sagt sie verzweifelt. Fast gleichzeitig beginnen die Frauen zu weinen.

Haltern am See liegt auf der Grenze zwischen Ruhrgebiet und Münsterland. Ganz tief unten in der Erde wird hier noch Kohle abgebaut. Ab und an wackelt und knallt es, wenn die Erde absackt. Oben aber ist die Welt ein Dorf.

In Nordrhein-Westfalen ist Haltern bekannt für seinen Badesee und das Römer-Museum. Ländlich ist es und vertraut. Die in die seit Dienstag in die Stadt eingefallenen Medienvertreter aus der ganzen Welt wirken da verstörend. Seit Donnerstagmorgen hängt ein großes Banner vor dem Schulhof des Joseph-König-Gymnasium: „Hört auf... Haltern vom Trauern abzuhalten“.

Und die Halterner wollen trauern, noch aber ist keine Ruhe eingekehrt. Zwei Tage nach dem Absturz sorgten die ersten Erkenntnisse über die letzten Minuten im Cockpit für neue Unruhe. „Jetzt sollen die Schüler auch noch Panik gehabt haben“, heißt es bei Passanten. Für die Menschen auf der Straße wird aus dem Unfassbaren zusätzlich noch ein Albtraum. Wer seine Einkäufe erledigt, machte das am Donnerstag immer wieder mit Tränen in den Augen.

Orte der Stille sind die Pfarrkirche St. Sixtus am Markt und das alte historische Rathaus direkt gegenüber. In der Kirche sitzen betende Menschen in den ersten Reihen. Sie schauen auf brennende Kerzen und niedergelegten Blumen am Boden. Kamerateams haben hier striktes Drehverbot. Zettel am Eingang machen das unmissverständlich klar.

Auf der anderen Seite des Marktes liegt im alten Rathaus aus dem Jahr 1577 ein Kondolenzbuch aus. In der 1. Etage bietet ein kleiner Raum mit Tisch und Kerze Zeit für ein paar Zeilen. Das Buch ist schlicht, ein breites schwarzes Band dient als Lesezeichen. Der Schützenverein hat sich eingetragen. Auch Schüler eines Gymnasiums aus Coesfeld waren da. Halterner schreiben in kurzen Sätzen, wie entsetzt sie sind. Gäste der Stadt notieren, „wir beten für die Kinder“.

Nach der Schweigeminute um 10.53 Uhr trägt sich Bürgermeister Bodo Klimpel stellvertretend für alle Bürger in das Buch ein. „Das unfassbare ist geschehen, es tut so unsagbar weh“, steht oben auf der Seite. An den Fuß der Seite setzt Klimpel seine Unterschrift. Dazwischen stehen die Vornamen der 16 Schüler, die nicht mehr nach Haltern zurückkehren.