Nachbeben nehmen kein Ende „Herz Italiens verwüstet“: Tausende Obdachlose nach Erdbeben
Rom (dpa) - Nach dem schweren Erdbeben in Mittelitalien haben Tausende Menschen ihr Hab und Gut verloren und müssen die Nächte in Zelten, Autos und Notunterkünften verbringen. Ministerpräsident Matteo Renzi versprach ihnen einen reibungslosen Wiederaufbau.
„Was immer für das Erdbeben benötigt wird, werden wir auf den Tisch bringen“, sagte er am Montagabend nach einer Kabinettssitzung. Italien ist hoch verschuldet und steht mit der EU-Kommission wegen seiner Haushaltsplanung im Clinch. Wenn Italien den Wiederaufbau wegen EU-Regeln nicht stemmen könne, „bedeutet das, dass wir alle den Verstand verloren haben“.
Das Erdbeben am Sonntag habe „das Herz“ Italiens verwüstet, schrieb er in seinem Newsletter. „Diese Dörfer sind die Identität Italiens: Wir müssen alles wiederaufbauen, schnell und gut.“
Mehr als 15 000 Menschen wurden in den Lagern des Zivilschutzes versorgt, teilte die Behörde mit. Die Zahl der Obdachlosen wird aber weit höher geschätzt.
Das Beben der Stärke 6,5 - das heftigste in Italien seit 36 Jahren - hatte historische Ortschaften in der Apennin-Gebirgsregion zerstört und selbst in der Hauptstadt Rom Schäden angerichtet. Tote gab es nicht - auch, weil viele Orte schon nach dem schweren Beben im August, bei dem 298 Menschen umkamen, geräumt worden waren.
Zahlreiche Kulturgüter, wie zum Beispiel die Basilika San Benedetto in der umbrischen Kleinstadt Norcia, wurden schwer beschädigt. „Norcia stirbt nicht“, gab sich der Bürgermeister Nicola Alemanno dennoch kämpferisch.
Nachbeben, darunter auch zwei von mehr als Stärke 4, verunsicherten die Menschen weiter. „Schlafen? Hier wackelt alles, wie willst du da schlafen?“, sagte der Bürgermeister des Dorfes Ussita, Marco Rinaldi. „Die Wahrheit ist, dass der Alptraum nicht vorbei ist, es ist die Angst, die uns einen neuen Schlag gibt.“
Tausende Menschen wurden an die Adria-Küste gebracht. Andere wollten ihre Heimatorte allerdings nicht verlassen und schliefen in Autos. „Wir können nicht für mehrere Monate Zelte in den Bergen im Schnee aufstellen“, schrieb Renzi. „Es gibt genug Hotels für jeden.“ Auch Gebäude, die nicht in sich zusammengefallen sind, müssen von einem Techniker überprüft werden. Viele Menschen dürfen daher nicht in ihre Häuser zurück.
Das Kulturministerium erwarte nun seit dem Beben im August rund 5000 Hinweise auf mögliche Schäden, sagte die Ministeriums-Generalsekretärin Antonia Pasqua Recchia.
Selbst im rund 110 Kilometer Luftlinie entfernten Rom entstanden Schäden. Die historische Brücke Ponte Mazzini über den Tiber, die Trastevere mit dem historischen Zentrum verbindet, wurde vorübergehend gesperrt. Auch die Papst-Basilika Sankt Paul vor den Mauern untersuchten Experten auf mögliche Schäden.
Zwei Kirchen im Stadtzentrum wurden gesperrt: die Kirche San Francesco im Stadtviertel Monti und die Kirche am Platz Sant'Eustachio, der bei Touristen beliebt ist. Die Schulen in der Hauptstadt sollten auf Schäden geprüft und bis dahin geschlossen bleiben. Am Dienstag ist in Italien ein Feiertag.
Die italienische Regierung plante am Montagabend eine Kabinettssitzung. Das Erdbeben hat für Renzi auch eine politische Dimension. Der Regierungschef steht wegen eines Verfassungsreferendums im Dezember stark unter Druck. Auch versucht er für sein hochverschuldetes Land in Brüssel mehr Flexibilität beim Defizit herauszuschlagen. In den Regeln des Euro-Stabilitätspakts seien im Katastrophenfall einmalige Erleichterungen und Ausnahmen vorgesehen, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel. Sie seien bei früheren Erdbeben in Italien zum Tragen gekommen. Zum jetzigen Zeitpunkt sei es aber noch zu früh, darüber zu spekulieren.
In Deutschland verwies Regierungssprecher Steffen Seibert darauf, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits nach dem Erdbeben im August Hilfe für den Wiederaufbau zugesagt hatte. Auf die Frage, ob für Italien die Defizitkriterien im Rahmen des europäischen Stabilitätspaktes gelockert werden könnten, sagte er: „Der Stabilitätspakt hat eine Menge an Flexibilität, die klug angewendet werden kann und klug angewendet werden soll. Das ist die Haltung der Bundesregierung.“