Hintergrund: Die offenen Fragen beim Atomausstieg
Berlin (dpa) - Nach Rot-Grün will auch Schwarz-Gelb plötzlich einen schnellen Atomausstieg. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen.
ENDJAHR ODER RESTSTROMMENGEN? Möglich ist eine Kombination aus beidem: ein Ausstieg um das Jahr 2022 herum, wie es die CSU will, und eine Festlegung von Restrommengen pro Kernkraftwerk, die bis dahin verbraucht werden dürfen. Unter Rot-Grün und bei der schwarz-gelben Laufzeitverlängerung wurden den Meilern nur Restrommengen zugebilligt. Durch Stillstand und die Übertragung von Strommengen von alten auf neue Meiler verschob sich der Ausstieg so stets nach hinten, selbst beim rot-grünen Ausstiegsmodell hätte der letzte Meiler dadurch sogar bis 2025 laufen können, bei der Laufzeitverlängerung bis 2040. Zudem könnte gekippt werden, dass Strommengen von alten, stillgelegten AKW auf neuere Meiler übertragen werden können.
BEGRÜNDUNG FÜR DIE ABSCHALTUNG: Möglich ist, dass die Regierung Betriebshöchstzeiten pro AKW festlegt. Unter Rot-Grün war mit einer Betriebszeit von 32 Jahren kalkuliert worden. Sollte man dies statt den Reststrommengen als oberstes Kriterium festlegen, wäre das Aus für die sieben ältesten Meiler besiegelt. Als letzter Meiler würde demnach das 1989 ans Netz gegangene AKW Neckarwestheim II etwa 2021 stillgelegt. Ein wichtiges Kriterium dürfte auch der mangelhafte Schutz vor Flugzeugabstürzen bei den älteren Anlagen sein.
ZAHLUNGEN DER KONZERNE: Bisher sollten von 2011 bis 2016 rund 2,3 Milliarden pro Jahr aus der Kernbrennstoffsteuer in die Kassen des Bundes fließen. Die Atomsteuer könnte nach hartem Ringen in der Koalition nun bleiben, bei einem Aus für sieben Meiler und womöglich das AKW Krümel würden sich die Einnahmen auf 1,3 Milliarden Euro pro Jahr verringern. Zudem muss der zur Abschöpfung der Gewinne aus längeren Laufzeiten eingerichtete Energie- und Klimafonds zum Ausbau der Ökoenergien neu verhandelt werden. Im umstrittenen Atomvertrag mit den AKW-Betreibern war festgelegt worden, dass diese 2011 und 2012 je 300 Millionen Euro zahlen, 2013 bis 2016 jährlich 200 Millionen. Nach Auslaufen der Atomsteuer sollten ab 2017 mehrere Milliarden Euro fällig werden, abhängig von erzeugten Strommengen. Bei einem früheren Ausstieg werden die Zahlungen wohl hinfällig.
BLACKOUT-GEFAHR: Die vier Übertragungsnetzbetreiber Tennet, Amprion, EnBW und 50Hertz warnen speziell im Winter vor massiven Stromausfällen, wenn auf einen Schlag bis zu acht AKW stillgelegt werden. Denn an trüben, kalten Wintertagen gibt es kaum Solarstrom und da die EU-Nachbarn ihren Strom selbst brauchen, verringert sich eine Abfederung von Engpässen durch Importe. Letztlich könnte es zu einem Spannungskollaps kommen - wovor sich besonders die Industrie fürchtet. Daher hat die FDP vorgeschlagen, ein bis zwei AKW als kalte Reserve vorzuhalten, also sie abzuschalten, aber nicht gleich rückzubauen. Gibt es Probleme, könnten sie im Notfall wieder Strom liefern. Die Kosten für einen solchen „stand-by“-Betrieb werden auf rund 50 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Gibt es wirklich einen Blackout, könnte die Atomdebatte auch wieder in die andere Richtung kippen.
KONSENS MIT DER OPPOSITION: Jetzt, wo SPD und Grüne ihren Wahlkampfschlager Atompolitik verlieren könnten, schrauben sie die Bedingungen für eine Zustimmung zum Atomausstieg hoch. So fordern sie ein sofortiges Aus für die sieben ältesten AKW und den Meiler in Krümmel. Und eine neue, bundesweite Endlagersuche. Beide Parteien würden sich aber unglaubwürdig machen, wenn sie jetzt einen Ausstieg ablehnen, der dem Datum des rot-grünen Ausstiegs nahekommt.
ENDLAGERUNG: Ein umumkehrbarer Atomausstieg würde es leichter machen, Alternativen zum Salzstock Gorleben prüfen zu lassen. Auch die Ethikommission fordert dies. Die Atomindustrie setzt auf Gorleben, sie hat schon 1,5 Milliarden Euro in die Erkundung des Salzstocks im niedersächsischen Wendland investiert.