Hintergrund: Krisen und Erfolge der Erdogan-Regierung
Istanbul (dpa) - Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sieht sich besonders seit Sommer vergangenen Jahres immer wieder Krisen gegenüber. Zur Präsidentenwahl ist sein Image im Westen so schlecht wie nie.
Seine Regierung hat aber auch Erfolge zu verbuchen - die für viele Türken schwerer wiegen als die Probleme.
KRISEN:
- Gezi-Proteste: Sie wurden ausgelöst von Plänen der Regierung, den Gezi-Park in Istanbul zu bebauen. Ende Mai 2013 schlugen die Proteste in landesweite Demonstrationen um, gegen die die Polizei mit großer Härte vorging. Die Polizeigewalt löste international Proteste aus. Erdogan bezeichnete die Polizisten dagegen als „Helden“.
- Korruptionsaffäre: Im Dezember wurden Dutzende Menschen aus dem Umfeld von Erdogans AKP unter Korruptionsverdacht festgenommen. Vier Minister mussten ihren Hut nehmen, Erdogan wurde zu einer weitreichenden Kabinettsumbildung gezwungen. Seine Regierung ließ Ermittler ablösen und versetzen. Der Versuch Erdogans, die Kontrolle über die Justiz zu verstärken, scheiterte am Verfassungsgericht.
- Telefonmitschnitte: Vor der Kommunalwahl Ende März, die Erdogan zu einem Referendum über seine Politik erklärt hatte, wurden über soziale Netzwerke kompromittierende Telefonmitschnitte verbreitet. Sie brachten auch Erdogans familiäres Umfeld unter Korruptionsverdacht. Die Regierung ließ Twitter und YouTube sperren. Das Verfassungsgericht hob die Sperren später wieder auf.
- Soma: Das Bergwerksunglück von Soma im Mai war das schwerste in der Geschichte der Türkei und kostete mehr als 300 Kumpel das Leben. Die Sicherheit der Gruben wurde in Zweifel gezogen. Politische Verantwortung übernahm die Regierung nicht.
- Gülen: Für die meisten innenpolitischen Krisen macht Erdogan die mächtige Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen mitverantwortlich. Erdogan wirft seinem einstigen Verbündeten vor, einen Staat im Staate errichten zu wollen und seinen Sturz zu betreiben. Die Regierung geht massiv gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger vor, die sie vor allem bei der Polizei und in der Justiz vermutet.
- Außenpolitik: Die von der Erdogan-Regierung verfolgte „Null-Probleme-mit-den-Nachbarn“-Politik ist gescheitert. Mit den meisten Staaten in der Region ist das Verhältnis zerrüttet. Auch der EU-Beitrittsprozess tritt auf der Stelle.
ERFOLGE:
- Wirtschaft: Sie ist das wichtigste As in Erdogans Ärmel. Während seiner mehr als elfjährigen Regierungszeit hat sich das Pro-Kopf-Einkommen nach Daten der Weltbank in etwa verdreifacht. Entsprechend sank der Anteil der Armen an der Bevölkerung von mehr als 20 Prozent auf 2,3 Prozent (2012). Das Wirtschaftswachstum lag 2013 laut Weltbank bei 4,0 Prozent.
- Infrastruktur: Eng mit der Wirtschaft verbunden ist die Infrastruktur. Straßen, Flughäfen, Hochgeschwindigkeitstrassen der Bahn und Kraftwerke werden gebaut. Im vergangenen Jahr eröffnete Erdogan einen Bahntunnel unter dem Bosporus.
- Kurden-Konflikt: Erdogan ist der erste Regierungschef, der die Lösung des seit 30 Jahren andauernden gewaltsamen Konflikts mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK angegangen ist. Derzeit gilt eine Waffenruhe. Das Parlament in Ankara verabschiedete im vergangenen Monat ein Gesetz, das eine Wiedereingliederung von PKK-Kämpfern ermöglichen soll.
- Militär: Erdogan ist es gelungen, das Militär, das in der Vergangenheit mehrfach geputscht hatte, in die Schranken zu weisen. Mit einer Verfassungsreform im Jahr 2010 wurden Militärs bei verfassungswidrigen Handlungen ziviler Gerichtsbarkeit unterstellt.
- Stolz: Mit seinem selbstbewussten Auftreten vermittelt Erdogan seinen Anhängern das Gefühl, stolz auf die Türkei sein zu können. Viele Türken fühlen sich auch wegen der schleppenden EU-Verhandlungen nicht willkommen in Europa. Besonders Auslandstürken sehen sich in Staaten wie Deutschland als Bürger zweiter Klasse behandelt.