Wie ein Wunder Höhlendrama von Thailand endet glücklich
Mae Sai (dpa) - Was haben sie ausgestanden all die Tage. Was haben sie gebangt, gezittert, gehofft und gebetet. Und jetzt, kurz vor 19.00 Uhr, es wird langsam schon wieder dunkel im Dschungel von Thailand, hier oben ganz im Norden, kommt die erlösende Nachricht dann tatsächlich.
Alle zwölf jungen Fußballer gerettet, nach einem neuen aufregenden Tag auch die letzten vier Jungen, darunter auch der Jüngste. Er ist erst elf. Und der Trainer dazu.
Im Camp der Helfer, über das jetzt immer wieder die Hubschrauber hinwegknattern, bricht lauter Jubel aus. Manche springen so arg in die Höhe, dass sie beim Herunterkommen im Matsch fast versinken. Andere tanzen in ihren Gummistiefeln wild herum und klatschen in die Hände. Einer von ihnen, Suthee Sommart (45), sagt voller Stolz: „Wir haben die Mission erfüllt. Wir haben Geschichte gemacht.“ Man kann dem nicht wirklich widersprechen. Und man will es auch nicht.
Tatsächlich haben die Leute aus der 20 000-Einwohner-Stadt Mae Sai die letzten 17 Tage Einzigartiges erlebt. Vor zwei Wochen kannte die weit verzweigte Höhle mit dem Endlosnamen Tham Luang-Khun Nam Nang No außerhalb der Provinz kaum ein Mensch. Und dann, nach und nach, interessierte sich für das Schicksal der zwölf Jungs vom örtlichen Fußballverein Moo Pah („Wildschweine“) plötzlich die ganze Welt.
Am Dienstagabend, als das Drama sein Happy End gefunden hatte, meldete sich bei den Leuten von Mae Sai sogar Donald Trump. „Great Job“, schrieb er auf Twitter. „Großartiger Job“. Auch dem US-Präsidenten muss man nicht immer widersprechen. Allerdings gehört dazu auch die Feststellung, dass rund um die Welt immer wieder auch viel schlimmere Katastrophen passieren, um die sich kaum einer groß kümmert.
Von den Rettern selbst - allen voran dem Kernteam aus mindestens 19 Spezialtauchern, davon die meisten aus dem Ausland - war zunächst wenig zu hören. Für viele sind sie nun die eigentlichen Helden. Aber die Männer sind nach drei Tagen im höchst gefährlichen Dauereinsatz einfach nur erschöpft. Vielleicht werden sie am Mittwoch genauer erzählen, wie die ganze Aktion über die Bühne ging.
Die thailändische Marine, die mit Spezialtauchern dabei war, erklärte ganz offiziell: „Wir sind nicht sicher, ob das ein Wunder ist. Oder Wissenschaft. Oder was auch immer.“ Bei all dem Jubel vergessen die Thais aber nicht, dass einer von ihnen bei den Vorbereitungen letzte Woche ums Leben kam: der ehemalige Marinetaucher Saman Kunan. Ihm ging in dem Abschnitt der Höhle, der als der gefährlichste galt, der Sauerstoff aus. Der Leiter des Einsatzes, Provinzgouverneur Narongsak Osottanakorn, sagt: „Er ist der Held.“
Das ganze Drama hatte am 23. Juni begonnen, als das Team aus zwölf Jungen - alle zwischen elf und 16 - zusammen mit dem Betreuer Ekaphol Chantawong (25) nach einem Training in die Höhle stieg und dann von Wassermassen überrascht wurde. Nur zur Erinnerung: Das war ein Wochenende, in dem Deutschland bei der Fußball-Wetzmeisterschaft noch dabei war. An jenem Samstag erzielte Toni Kroos in der allerletzten Minute der Nachspielzeit das 2:1 gegen Schweden.
Neun Tage lang gab es dann keinerlei Lebenszeichen - bis zwei britische Höhlentaucher die Truppe vier Kilometer vom Ausgang entdeckte. Dort hatte sie sich auf einer trockenen Stelle in Sicherheit gebracht.
Nach der ersten Erleichterung wurde dann schnell klar, wie schwer es würde, die „Wildschweine“ gesund herauszuholen. Weil Monsun-Saison ist, wurde es ein Kampf gegen Wetter und Zeit. Groß war die Sorge, dass neue Regenfälle die Hilfsaktion unmöglich machen würden. Und es schüttete in Mae Sai immer wieder. Zwischenzeitlich war deshalb auch in der Überlegung, Tunnel in die Tiefe zu bohren. Aber schließlich entschloss man sich doch, zu tauchen.
Die Profis nahmen die Kinder dazu in den Schlepptau, immer zwei Taucher auf einen Jungen. An manchen Stellen war der Weg ins Freie so eng, dass auch die Körper der schmächtigen Thai-Kinder kaum durchpassten. Viele Experten hielten es für ziemlich unmöglich, dass die Aktion ohne weitere Todesopfer gelingen könnte. Aber schließlich passte dann doch alles. Am Abend meldete die Marine: „Alle zwölf Wildschweine und der Trainer sind draußen. Alle sind in Sicherheit.“
Und nun? Vermutlich wird es eine ganze Weile dauern, bis die Kinder wieder einigermaßen zurück in der Normalität sind. Mindestens eine Woche noch sollen die jungen Kicker im Krankenhaus bleiben, abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Das Angebot der FIFA, auf Kosten des Weltfußballverbandes zum WM-Finale am Sonntag nach Moskau zu reisen, hat sich damit erledigt.
Der achte Stock der Klinik in der Provinzhauptstadt Chiang Rai, wo die Kinder in Einzelzimmern liegen, wird von der Polizei streng bewacht. Auch die Eltern dürfen erst nach und nach zu ihnen. Bislang ist aber kein direkter Kontakt erlaubt. Aus Angst vor Infekten - weil das Immunsystem geschwächt ist - dürfen Väter und Mütter mit ihren Söhnen nur durch eine Glasscheibe kommunizieren. Die Kinder müssen nach über zwei Wochen Dunkelheit jetzt Sonnenbrillen tragen - zum Schutz vor dem Tageslicht.
Aber das ist wahrscheinlich eines der kleineren Probleme. Größer ist die Sorge, dass ihre Psyche angeschlagen ist. Bislang verschweigt man ihnen auch, was für ein riesiges Interesse es rund um die Welt an ihrem Schicksal gibt. Obwohl inzwischen jede Menge Einladungen eingetroffen sind, über die sich auch andere fußballbegeisterte Kinder freuen würden.
Der Premier-League-Club Manchester United zum Beispiel will die „Wildschweine“ im Stadion Old Trafford willkommen heißen. Vom AS Rom kam ebenfalls Jubel. „Die beste Fußball-Nachricht des Sommers“, schrieben die Italiener nach Thailand. Ganz egal, wer am Sonntag Weltmeister wird. Was ist schon eine WM.