Hoeneß bangt um seine Freiheit
München (dpa) - In einem der spektakulärsten deutschen Steuerprozesse muss jetzt der Richter sein Urteil über Bayern-Boss Uli Hoeneß fällen. Im schlimmsten Fall droht dem prominenten Angeklagten am Donnerstag eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren wegen hinterzogener Steuern von mindestens 27,2 Millionen Euro.
Das Münchner Landgericht geht von dieser enormen Summe aus, wie Richter Rupert Heindl am Mittwoch sagte. Auch die Verteidigung erkennt sie inzwischen an. Die Steuerschuld ist damit weit höher als die 3,5 Millionen, welche die Staatsanwaltschaft dem Präsidenten des FC Bayern in der Anklage vorgeworfen hatte.
Voraussetzung für die maximale Haftstrafe ist, dass das Gericht einen besonders schweren Fall von Steuerhinterziehung bejaht. Verteidigung oder Staatsanwaltschaft können nach dem Urteil in Revision gehen. Dann ist der Bundesgerichtshof in Karlsruhe die nächste Instanz.
Dass der gegen Kaution ausgesetzte Haftbefehl gegen den Bayern-Boss nach einem möglichen Urteil wieder in Kraft tritt, gilt als unwahrscheinlich. Demnach würde Hoeneß wohl bis zu einem letztinstanzlichen Urteil auf freiem Fuß bleiben.
Zur schwindelerregenden Steuerschuld von Hoeneß sagte sein Anwalt Hanns W. Feigen: „Die Zahlen hält die Verteidigung für sachgerecht, da zweifeln wir nicht dran.“ Davon, dass die Selbstanzeige des Bayern-Bosses gültig und damit zumindest strafmindernd ist, geht die Verteidigung dennoch aus. Die Zahlen seien keine Überraschung. „Wir sind ja nicht dämlich!“, erklärte Feigen.
„In der Selbstanzeige, die Herr Hoeneß am 17. Januar 2013 eingereicht hat, sind sämtliche Zahlen bereits enthalten“, betonte der prominente Anwalt aus Frankfurt. Noch zum Prozessauftakt am Montag hatte die Verteidigung von 18,5 Millionen gesprochen. Die 27,2 Millionen wurden erst nach der Aussage einer Rosenheimer Steuerfahnderin öffentlich.
Die Differenz von knapp neun Millionen Euro erklärte Feigen damit, dass die 18,5 Millionen Euro Schätzungen gewesen seien. Nach Ansicht der Verteidigung ist die Summe nahezu unerheblich. Die Zahlen, die in der Selbstanzeige angegeben sind, würden noch eine deutlich höhere Steuerhinterziehung abdecken, meinen die Verteidiger. Feigen spricht von 60 oder 70 Millionen Euro.
Die Staatsanwaltschaft sieht das völlig anders. Sie fühlt sich nach den spektakulären Summen, die im Prozess auf den Tisch gekommen sind, in ihrer Annahme bestätigt, dass die Hoeneß' Selbstanzeige vom 17. Januar 2013 überaus fehlerhaft ist. Wenn die Kammer nach den für Donnerstagmorgen geplanten Plädoyers dieser Ansicht zustimmt, kommt Hoeneß nach Ansicht vieler Experten um eine Gefängnisstrafe wohl nicht mehr herum. Für den Fußball-Funktionär wird es eng.
„Wenn es zu einer Verurteilung kommt, dann wird auch die Summe der hinterzogenen Steuern eine Rolle spielen“, verdeutlichte Gerichtssprecherin Andrea Titz. Hoeneß kann nach dem ungünstigen Verlauf des Prozesses wohl nur noch auf Richter Heindl und ein mildes Urteil hoffen.
Hoeneß verfolgte das Geschehen auch am Mittwoch erneut ohne jede Wortmeldung. Seine Mimik und Gestik scheint der sonst öffentlich oft sehr emotionale und aufbrausende Bayern-Patron vor Gericht bewusst zu kontrollieren.
Selbst bei einem milden Urteil, etwa einer Bewährungsstrafe, wird die Steueraffäre für den Bayern-Boss Folgen haben. Mindestens 27,2 Millionen Euro muss er an den Fiskus nachzahlen. Die zehn Millionen, die er beim Finanzamt hinterlegt hat und die Kaution von fünf Millionen Euro, die er im Frühjahr 2013 gezahlt hat, um der Untersuchungshaft zu entgehen, machen gerade einmal rund die Hälfte aus.
Und nachdem immer mehr Politiker ihn auffordern, seine Spitzenämter beim FC Bayern aufzugeben, steht dort noch mehr auf dem Spiel als sein ohnehin verlorener Ruf als moralische Instanz und Vorbild. Die Aufsichtsräte der FC Bayern AG wollen weiterhin das Urteil abwarten, ehe sie eine Entscheidung über ihren Vorsitzenden treffen.
Der dritte Prozesstag hatte mit einer zehnminütigen Verspätung des Angeklagten und auch des Staatsanwaltes im Gerichtssaal begonnen. Die Verhandlung dauerte nicht einmal so lange wie das Fußballspiel, das Hoeneß am Vorabend in der Münchner Arena beim 1:1 seines FC Bayern in der Champions League gegen den FC Arsenal angespannt verfolgt hatte.
Die letzten beiden Zeugen mussten nur kurz befragt werden. Ein Betriebsprüfer schilderte, wie Steuerprüfungen in Deutschland beim Großverdiener Hoeneß abliefen. Der 62-Jährige wird automatisch überprüft, weil seine Einkünfte 500 000 Euro im Jahr übertreffen.
Mit Spannung erwartet worden war die Aussage eines EDV-Experten im Finanzamt Rosenheim. Ein Dokument mit den Schweizer Bankdaten von Hoeneß wurde bereits vor über einem Jahr erstellt, aber danach noch mehrfach verändert, berichtete der Zeuge. Ein „Grunddokument“ sei zwar schon am 18. Januar 2013 um 16:21 Uhr erstellt worden, nur einen Tag nach der Selbstanzeige von Hoeneß.
„Das bedeutet, dass zumindest ein Element in dieser Datei erstellt wurde. Es bedeutet aber nicht, dass sie abgeschlossen wurde“, erläuterte der Mann. Mehrere Teile seien in den Monaten danach noch hinzugefügt worden. Die Hoeneß-Anwälte hatten die komplette Datei erst wenige Tage vor Prozessbeginn an die Steuerfahndung übergeben. Den Vorwurf, sie hätten Material zurückgehalten, wiesen Hoeneß' Anwälte zurück. Diese These sei „reiner Unfug“ gewesen, sagte Feigen.