Investoren ziehen massiv Kapital aus Russland ab
Moskau (dpa) - Die Krim-Krise lässt Investoren aus Russland fliehen. Der Kreml rechnet mit massiven Kapitalabflüssen. Vizewirtschaftsminister Andrej Klepach erwartet einem Bericht der „Financial Times“ zufolge, dass im ersten Quartal bis zu 70 Milliarden US-Dollar (51 Mrd Euro) abgezogen wurden.
Das würde bedeuten, dass innerhalb von drei Monaten mehr Geld das Land verlassen hätte als im gesamten letzten Jahr. 2013 waren 63 Milliarden Dollar aus Russland abgeflossen. Moskau sagte am Dienstag bereits die vierte Auktion von Staatsanleihen in Folge ab. Die Risikoaufschläge für russische Papiere steigen schon seit Wochen.
Das russische Finanzministerium begründete in einer auf der Internetseite veröffentlichten Mitteilung die erneute Absage mit „unvorteilhaften Marktbedingungen“. Der massive Kapitalabzug aus Russland treibt die Zinsen in die Höhe.
Am stärksten verunsichere Investoren derzeit die Möglichkeit von verschärften wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland, sagte Experte Chris Weafer von der Moskauer Beratungsfirma Macro Advisory der „FT“. Nach Einschätzung des Münchner Ifo-Instituts würden umfassende Wirtschaftssanktionen Russland deutlich stärker treffen als die EU. Nach Ifo-Berechnungen machen die Ausfuhren Russlands in die EU 15 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes aus. Umgekehrt seien es nur etwa 1 Prozent.
Ökonomen warnten vor der Verhängung umfassender Strafmaßnahmen gegen Moskau. „In der aktuellen Lage halte ich überhaupt nichts von schärferen Sanktionen gleich welcher Art“, sagte der Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Gustav Horn, „Handelsblatt Online“. Das Risiko steigender Energiepreise und wegbrechender Absatzmärkte könne am Ende die Menschen in ganz Europa treffen. Nach Einschätzung seines Frankfurter Kollegen Thorsten Polleit wäre Deutschland von Handelssanktionen gegen Russland besonders betroffen.
Auch der Rubel hat inzwischen deutlich an Wert verloren. Die großen Ratingagenturen haben Moskau in der vergangenen Woche bereits angezählt. Die Bonitätsprüfer von Standard & Poor's und Fitch drohten, die Kreditwürdigkeit zu senken. Das Risiko wirtschaftlicher Sanktionen verschlechtere den Wachstumsausblick. Bereits jetzt habe sich das gesamtwirtschaftliche Wachstum abgeschwächt, die Investitionen seien rückläufig, hieß es bei Fitch.
Nach Aussagen von russischen Experten ist der Bedarf des Landes an frischem Geld vom Kapitalmarkt derzeit aber noch nicht dringend. Dmitry Dudkin, der die Anleihenanalyse des Finanzunternehmens UralSib in Moskau leitet, sieht Russland sogar in einer relativ komfortablen Position: „Der Refinanzierungsbedarf ist gering.“ Die Regierung könne bis zur Jahresmitte ohne Anleiheauktionen auskommen, schrieb er in einer Analyse.
Die französische Großbank BNP Paribas kündigte unterdessen einen massiven Stellenabbau in der Ukraine an. Bis zum kommenden Jahr sollen bei der dortigen Tochterbank 1600 Jobs gestrichen werden. Eine Sprecherin der größten französischen Bank bestätigte die Reduzierung um rund 20 Prozent in Paris. Die ukrainische BNP-Tochter UkrSibBank beschäftigt derzeit mehr als 7000 Mitarbeiter und hat damit den größten Personalbestand des französischen Unternehmens in Osteuropa.