Fragen und Antworten Ist die deutsch-türkische Partnerschaft noch zu retten?

Berlin/Istanbul (dpa) - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fährt immer schwereres Geschütz gegen Deutschland auf. Der inhaftierte deutsche Korrespondent Deniz Yücel sei ein „deutscher Agent“, zitierte die Nachrichtenagentur Anadolu den Staatschef.

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Schon vorher hatte die türkische Führung ihrer Wut Luft gemacht: Skandal, antidemokratisch, faschistisch, mit so scharfen Worten ist Deutschland schon lange nicht mehr von Regierungsmitgliedern eines befreundeten Staats beschimpft worden. Im schwer belasteten deutsch-türkischen Verhältnis drohen nun alle diplomatischen Dämme brechen.

Grund für die Wut der türkischen Führung ist eine Entscheidung der kleinen badischen Stadt Gaggenau, die aus Sicherheitsgründen den Wahlkampfauftritt des türkischen Justizministers verhindert hat. Am Freitag folgte eine Absage für den türkischen Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci aus Frechen bei Köln.

Der Faschismus-Vorwurf kam von dem Mann, dessen Auftritt in Gaggenau nicht stattfinden durfte. „Dieses Skandal-Vorgehen in Deutschland ist im wahrsten Sinne des Wortes ein faschistisches Vorgehen“, sagte Justizminister Bekir Bozdag. Außenminister Mevlüt Cavusoglu drohte Deutschland mit Konsequenzen.

Warum sind die türkischen Reaktionen so harsch?

Die türkische Regierung fühlt sich besonders von Deutschland schon lange gemaßregelt - und sie ist zunehmend genervt von Belehrungen über Demokratie und Meinungsfreiheit. Aus Sicht Ankaras stellt sich die Lage in etwa so dar: Berlin beschwert sich darüber, dass in der Türkei die Meinungsfreiheit eingeschränkt werde. Gleichzeitig würden demokratisch gewählte Minister eines Nato-Partners und EU-Beitrittskandidaten daran gehindert, in Deutschland aufzutreten, um dort ihre Meinung zu sagen.

Sind deutsche Bedenken in Sachen türkischer Demokratie nicht gerechtfertigt?

Aus deutscher Sicht bestimmt - das ist aber eine Sicht, die die Regierung in Ankara nicht teilt. Sie behauptet, dass es keine Probleme mit der Meinungsfreiheit in der Türkei gibt. Justizminister Bozdag sagte nach der Absage seines Auftritts in Deutschland, in der Türkei könne sich jeder frei zu Demonstrationen versammeln, wie er wünsche. Und er lobte „das demokratische Klima in der Türkei“. Nicht nur Dutzende Journalisten, die seit dem Ausnahmezustand in der Türkei eingesperrt wurden, dürften das anders sehen.

Was könnte noch zu der Empörung beigetragen haben?

Die Regierung in Ankara verdächtigt die Bundesregierung, die Türkei nicht als ebenbürtigen Partner zu sehen - das machte Cavusoglu nun wieder deutlich. „Die Türkei untersteht Ihnen nicht“, sagte er an die Adresse der Deutschen. „Sie sind nicht der Chef der Türkei. Sie sind nicht erste Klasse und die Türkei zweite Klasse.“

Wie verhält sich die Bundesregierung?

Die Bundesregierung sieht sich für die Verhinderung von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland nicht in der Verantwortung. Für die Sicherheit seien die Kommunen zuständig, sagen Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel einhellig. Zumindest Gabriel hat seine Tonlage gegenüber der Türkei allerdings ebenfalls verschärft. Im Fall des inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel wirft er der türkischen Justiz beispielsweise offen Rechtsbruch vor. Zum Vorwurf Erdogans, Yücel habe sich einen Monat in einem deutschen Konsulat „versteckt“, gab es zunächst keine Reaktion des Auswärtigen Amtes.

Nutzt oder schadet die Eskalation des Streits Erdogan in seinem Wahlkampf?

Das ist schwer zu sagen. Die Türken sind zutiefst gespalten in Anhänger und Gegner Erdogans. Wer für Erdogan war, dürfte sich durch die Absage der Auftritte nun in dieser Haltung bestärkt sehen - zudem Erdogan das Bild pflegt, dass die Türkei von Feinden umgeben ist und er der einzige ist, der die Stabilität und Einheit des Landes garantieren kann. Allerdings hat auch die größte Oppositionspartei CHP die Absagen der Ministerauftritte in Deutschland kritisiert. Wozu die Absagen führen könnten: Erdogan-Anhänger in Deutschland dürften sich vom Rest der Gesellschaft nun noch weiter entfremden.

Gibt es konkrete Auswirkungen der diplomatischen Krise auf wichtige Felder der deutsch-türkischen Zusammenarbeit?

Bisher nicht. In der Praxis geht alles weiter wie bisher. Der Flüchtlingspakt ist bisher ebensowenig betroffen wie die Stationierung der deutschen „Tornado“-Aufklärungsflugzeuge für den gemeinsamen Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat im türkischen Incirlik. Spekulationen über mögliche Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei bezeichnete das Auswärtige Amt am Freitag als „nicht nachvollziehbar“.

Was wird nun aus Deniz Yücel?

Der von Erdogan erhobene Vorwurf der Agententätigkeit für Deutschland lässt Schlimmes befürchten. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin war zu den Spionagevorwürfen zu hören: „Das ist abwegig“. Schon bisher wurde ihm Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung vorgeworfen. Den neuen Vorwurf wird die türkische Justiz sicher aufnehmen. Die Regierung pocht zwar darauf, dass die Justiz unabhängig sei, Experten zweifeln daran aber sehr.

Wie kann man wieder auf den Pfad der Entspannung kommen?

Durch persönliche Gespräche zwischen den beiden Regierungen. Gabriel und Cavusoglu telefonierten am Freitag miteinander. Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete anschließend, nächste Woche sei ein Treffen der beiden in Deutschland geplant. Vom Auswärtigen Amt gab es zunächst keine Bestätigung dafür. Zu dem Telefonat hieß es aber: „Es war ein konstruktives und engagiertes Gespräch. Beide vereinbarten, in engem Kontakt zu bleiben.“ Allerdings forderte Erdogan, die Verantwortlichen für die Verhinderung türkischer Wahlkampfauftritte in Deutschland gehörtenwegen „Beihilfe zum Terror“ vor Gericht. Wen er damit genau meinte, ließ er offen.