Japan bangt um Sicherheit von Atomkraftwerk
Tokio/Berlin (dpa) - Das Erdbeben in Japan hat ein Atomkraftwerk im Katastrophengebiet in eine kritische Lage gebracht. Nach dem Ausfall der Hauptkühlsysteme und der Stromversorgung in mindestens zwei Reaktoren des Kraftwerks Fukushima sprachen Experten von einem „beängstigenden Rennen gegen die Zeit“.
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte am Abend, es bestehe eine ernste Situation. Im äußersten Fall sei auch eine Kernschmelze in bis zu drei Reaktorblöcken der Anlage möglich. Dies hätte wie 1986 in Tschernobyl weitreichende Folgen für Bevölkerung und Umwelt.
Der japanische Ministerpräsident Naoto Kan rief Atomalarm aus. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes forderten die Behörden deshalb Anwohner auf, ihre Häuser zu verlassen. Betroffen waren rund 3000 Menschen im Umkreis von drei Kilometern. In einer zweiten Zone von drei bis zehn Kilometern Entfernung sollten die Menschen in ihren Häusern bleiben, wie der Rundfunksender NHK berichtete.
Während mehrere Medien von einer Stabilisierung der Lage sprachen, meldete die Agentur Kyodo in der Nacht zum Samstag (Ortszeit) einen Anstieg der Radioaktivität im Turbinengebäude. Der Fernsehsender NHK berichtete, dass auch der Druck in einem Reaktor gestiegen sei.
Das nach dem Ausfall der Hauptkühlung in Gang gesetzte Notkühlsystem konnte nach Informationen japanischer Experten nur noch im Batteriebetrieb gefahren werden - mit Energie für wenige Stunden. „Im allerschlimmsten Fall droht dann eine Kernschmelze“, sagte der Sprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln, Sven Dokter.
Die US-Luftwaffe flog nach Angaben von Außenministerin Hillary Clinton aufbereitetes Kühlwasser zu der Anlage. Der amerikanische Reaktorexperte Robert Alvarez sprach von einem „beängstigenden Rennen gegen die Zeit“. Bei einem längeren Ausfall der Kühlung könne es zu schweren Konsequenzen kommen, darunter auch eine mögliche Kernschmelze.
Der Greenpeace-Reaktorexperte Heinz Smital erklärte der Nachrichtenagentur dpa, selbst ein abgeschaltetes Atomkraftwerk erzeuge noch so viel Nachwärme, dass man eine Kernschmelze nur dann verhindern könne, wenn die Kühlung sichergestellt sei. Das Erdbeben habe eine sehr große Energie gehabt, „so dass viele Systeme möglicherweise nicht funktionieren wie sie sollten“.
Im ebenfalls abgeschalteten Atomkraftwerk Onagawa brach ein Feuer in einem Turbinengebäude aus. Die Betreibergesellschaft erklärte, dass keine radioaktive Strahlung ausgetreten sei. Der Brand wurde nach Angaben der Behörden nach einigen Stunden gelöscht.
Der atomare Notfall sei ausgerufen worden, um Notfallmaßnahmen der Behörden zu unterstützen, sagte Regierungssprecher Yukio Edano. Zuvor hatte Kan in einer ersten Beurteilung der Lage erklärt, dass es keine Probleme bei den Atomkraftwerken gebe.
In Fukushima gibt es zwei Atomkraftwerke, Fukushima-Daiichi mit acht und Fukushima-Daini mit vier Siedewasserreaktoren. Das Atomkraftwerk Onagawa besteht aus drei Siedewasserreaktoren, die von 1984 bis 2002 an der Ostküste von Honshu gebaut wurden.
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) will von den japanischen Behörden mehr Informationen zu den nach dem Erdbeben abgeschalteten Atomkraftwerken. Nuklearer Brennstoff müsse auch nach dem Abschalten einer Anlage gekühlt werden, betonte die UN-Behörde am Freitag in Wien.
Die IAEA sei momentan auf Informationen der japanischen Behörden angewiesen, sagte ein Sprecher. Damit sich Experten der Atombehörde selbst ein Bild von der Lage machen könnten, müsse das Land sie einladen. Die IAEA bemühe sich um weitere Informationen zu der Situation im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi sowie anderen Nuklearanlagen und Forschungsreaktoren, erklärte die Behörde. Außerdem wünsche man sich Berichte über den Zustand von weiterem radioaktiven Material im Land, wie medizinische und industrielle Ausrüstung.
Der Ausfall der gesamten Stromversorgung im Atomkraftwerk Fukushima und ein Rückgriff auf eine Batterieversorgung könnte nach Ansicht von Experten mindestens als Störfall eingestuft werden, das entspricht Stufe 2 der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES). Stufe 3 wäre ein Ernster Störfall. Die höchste Stufe ist die 7, ein katastrophaler Unfall. Dieser wurde bisher nur mit dem GAU von Tschernobyl 1986 verzeichnet. Ab INES-2 muss die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEO) informiert werden.
Vor mehr als sechs Jahren kamen bei einem Unfall in einem japanischen Atomkraftwerk vier Arbeiter durch kochend heißen Dampf ums Leben. Sieben Menschen erlitten wegen eines Lecks in einem Reaktor-Turbinengebäude des Mihama-Kraftwerks in der nordwestlichen Provinz Fukui damals schwere Verbrühungen.