Kampf gegen Preisverfall: EZB macht Geld noch billiger
Frankfurt/Main (dpa) - Mit einer historischen Zinssenkung stemmen sich Europas Währungshüter gegen die Abwärtsspirale an der Preisfront.
Das bereits extrem billige Geld im Euroraum wird noch billiger, die Europäische Zentralbank (EZB) senkt den Leitzins von 0,5 Prozent auf 0,25 Prozent. Notenbankpräsident Mario Draghi begründete den Schritt am Donnerstag in Frankfurt mit der Aussicht auf eine „längere Phase niedriger Inflationsraten“.
Kritik an der weiteren Öffnung der Geldschleusen kam vor allem aus Deutschland - denn für Europas größte Volkswirtschaft mit ihrer relativ robusten Konjunktur galt schon das bisherige Zinsniveau als zu niedrig.
Im Oktober war die Teuerung im Euroraum überraschend deutlich auf 0,7 Prozent und damit den tiefsten Stand seit vier Jahren gesunken. Das hatte Forderungen nach noch billigerem Zentralbankgeld Nahrung gegeben: Die EZB solle eine deflationäre Abwärtsspirale aus fallenden Verbraucherpreisen und schwachem Wirtschaftswachstum verhindern.
Draghi dämpfte trotz der neuerlichen Zinssenkung die Sorgen: „Wenn wir Deflation verstehen als einen weit verbreiteten Verfall von Preisen in vielen Warengruppen und in mehreren Ländern - das sehen wir nicht.“
Ob die Zinssenkung tatsächlich das Wirtschaftswachstum in den Euro-Krisenländern ankurbeln wird, ist umstritten. Schließlich kommen Banken bereits seit langem extrem günstig an frisches Geld, reichen es oft aber nicht an die Unternehmen weiter. Draghi bekräftigte das Billiggeld-Versprechen der Notenbank: Der EZB-Rat gehe davon aus, dass die Zinsen im Euroraum für einen längeren Zeitraum auf dem aktuellen Niveau oder darunter liegen werden.
Aus Deutschland hagelte es Kritik. Mittel- bis längerfristig nähmen „die Risiken der Niedrigzinspolitik weiter zu“, mahnte der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes BdB, Michael Kemmer. Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon urteilte: „Realwirtschaftliche Auswirkungen wird die heutige Zinssenkung nicht haben, für die Sparer ist sie sogar das falsche Signal. Niedrigzinsen führen zu dauerhaften Verlusten der Sparer, die quasi einer Enteignung gleichkommen, weil sie bei ihren Anlagen negative Realzinsen hinnehmen müssen.“
Berenberg-Chefökonom Holger Schmieding meinte, die EZB demonstriere mit ihrer Zinssenkung, dass sie sogar „das eher hypothetische Deflationsrisiko ernst nehme“: „Die EZB will keinen noch stärkeren Euro, der zusätzlichen Druck auf die ohnehin niedrigen Preise erzeugen würde.“ KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner nannte den Zinsschritt „die richtige Reaktion auf die zu niedrige Inflation im Euroraum“.
Der Euro stürzte nach dem Zinsentscheid bis auf ein Tagestief von 1,3296 US-Dollar ab. Damit notierte die Gemeinschaftswährung, deren Stärke der deutschen Exportwirtschaft zu schaffen macht, erstmals seit dem 16. September unter der Marke von 1,33 US-Dollar. Am Aktienmarkt sorgte die EZB für ein Kursfeuerwerk, schließlich ist billiges Zentralbankgeld seit Monaten der Schmierstoff für die Börsen: Der deutsche Leitindex Dax schoss binnen Minuten auf zwischenzeitlich mehr als 9193 Punkte in die Höhe.
Die Verschärfung des EZB-Krisenkurses schon zum jetzigen Zeitpunkt kam überraschend - auch deshalb, weil die Wirtschaft im Euroraum die Rezession verlassen hat und 2014, auch nach EZB-Prognosen, wieder wachsen wird. Die meisten Ökonomen hatten daher mit einer Zinspause gerechnet. Allerdings hält die EZB die wirtschaftliche Erholung für „schwach, fragil und ungleichmäßig“, wie das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen kürzlich betonte.
Niedrige Zinsen verbilligen tendenziell Kredite und Investitionen und kurbeln so die Wirtschaft an. Das stärkt den Preisauftrieb. Die EZB sieht Preisstabilität bei knapp unter 2,0 Prozent Jahresteuerung. Zuletzt lag die Inflationsrate im Januar bei 2,0 Prozent, seither teils deutlich darunter.
Großbritanniens Notenbank behält ebenfalls ihre lockere Geldpolitik bei. Wie die Bank of England am Donnerstag in London mitteilte, bleibt der Leitzins auf dem Rekordtief von 0,5 Prozent.