Keine klaren Mehrheiten in Sicht

Berlin (dpa) - Sechs Wochen vor dem 22. September steuert der Bundestagswahlkampf auf ein hochspannendes Finale zu. Zwar liegt die Union mit Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel in jüngsten Umfragen vor der SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück.

Ob es aber angesichts der schwächelnden FDP für eine Fortsetzung des seit vier Jahren regierenden schwarz-gelben Bündnisses reicht, ist offen. Bekommen Union und FDP gemeinsam keine Mehrheit der Mandate, dürften langwierige Koalitionsverhandlungen folgen.

Rund 61,8 Millionen Bürger sind am dritten Septembersonntag aufgerufen, in 299 Wahlkreisen einen neuen Bundestag zu wählen - eine Mehrzahl von ihnen (51,5 Prozent) sind Frauen. 3 Millionen junge Menschen dürfen nach Angaben des Bundeswahlleiters in den rund 80 000 Wahllokalen erstmals über den Bundestag abstimmen, ein Fünftel der Wahlberechtigten ist mindestens 70 Jahre alt.

In den jüngsten Umfragen liegt die CDU mit Merkel bei etwa 40 Prozent, der Wunsch-Koalitionspartner FDP bei 5 Prozent. Ob es aber für die angepeilte eigene Mehrheit und damit nach vier Jahren für die Fortsetzung des bisherigen Bündnisses reicht, dürfte auch davon abhängen, wieviele Prozentpunkte kleine Parteien erhalten. Den Piraten werden mit rund 3 Prozent in den Umfragen genausowenige Chancen eingeräumt, in den Bundestag einzuziehen, wie der euroskeptischen Alternative für Deutschland mit ähnlichen Werten.

Nach Berechnungen der Wahlplattform „election.de“ von Ende Juli hätte Schwarz-Gelb nur eine sehr knappe rechnerische Mehrheit, wenn jetzt Wahl wäre. Wegen der statischen Schwankungsbreite sei es „praktisch nicht vorherzusagen, wer am Ende des Wahlabends die Nase vorn hat“, schreiben die Experten. Laut dieser Prognose kann die CDU mit 10 und die SPD mit 3 Überhangmandaten rechnen. Nach dem neuen Wahlrecht, das eine völlige Kompensation für die anderen Parteien vorsieht, würden demnach die CSU 3, FDP und Linke jeweils 2, die Grünen 5 und die SPD nochmals 6 Ausgleichsmandate bekommen.

Weil SPD und Grüne nach jetzigem Stand kaum eine eigene Mehrheit erreichen dürften, versucht Schwarz-Gelb im Wahlkampf mit der Warnung vor einer rot-rot-grünen Regierung zu punkten. Während die SPD-Spitze eine solche Konstellation wiederholt strikt ausgeschlossen hat, wollen sich Teile der Parteilinken nicht festlegen. Vor allem die Linkspartei befeuert solche Spekulationen - Fraktionschef Gregor Gysi und andere führende Linke locken die SPD mit der Aussicht, einen sozialdemokratischen Kanzler mitzuwählen.

In der parlamentarischen Sommerpause beherrschten vor allem Skandalthemen wie die Drohnenaffäre um Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) oder die Späh-Enthüllungen um den US-Geheimdienst NSA sowie mögliche Verstrickungen des Bundesnachrichtendienstes die Debatte. Selbst Bundespräsident Joachim Gauck äußerte sich und forderte die Parteien zu einem inhaltlich profilierten Wahlkampf auf.

Von Mitte August an wollen die Spitzenkandidaten aller Parteien in der heißen Wahlkampfphase bei Großveranstaltungen um ihre Stammwählerschaft und die Unentschlossenen werben. Die Union setzt neben milliardenschweren Wahlversprechen und Wirtschaftsthemen vor allem auf die Popularität ihrer Vorsitzenden. Die FDP hält sich mit Forderungen nach Steuerentlastungen anders als früher eher zurück und setzt auf solide Staatsfinanzen.

Der SPD-Wahlkampf zündete - zumindest den Umfragen zufolge - zunächst noch nicht so recht. Spitzenkandidat Steinbrück hofft auf einen Stimmungswechsel zugunsten von Rot-Grün in den letzten Wochen vor der Wahl. Dafür hat er eine scharfe inhaltliche Abgrenzung zur Bundesregierung und weitere Attacken gegen Merkel angekündigt. Die Grünen wollen mit Vorschlägen für einen ökologischen und - ähnlich wie die SPD - für einen sozialen Umbau des Staates punkten.

Mit Spannung blicken alle Parteien auf die Landtagswahl in Bayern am 15. September. Eine Woche vor der Wahl im Bund erhoffen sie sich von den Wählern im Süden Rückenwind. Nicht ausgeschlossen ist, dass der CSU-Chef, Ministerpräsident Horst Seehofer, die Rückkehr zur Alleinregierung schafft und nicht mehr auf den bisherigen Koalitionspartner FDP angewiesen ist.

In Hessen, wo am Tag der Bundestagswahl ebenfalls ein neuer Landtag bestimmt wird, zeichnet sich wie im Bund ein enges Rennen ab. CDU-Regierungschef Volker Bouffier profitiert nach jüngsten Umfragen vom Merkel-Bonus, auch die FDP ist im Land wieder im Aufwind. Rot-Grün hat dagegen - glaubt man den Umfragen - einen komfortablen Vorsprung verspielt.