Kretschmann kündigt Kurswechsel bei Stuttgart 21 an
Stuttgart/Berlin (dpa) - Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will nach der klaren Niederlage für die Stuttgart-21-Gegner den Kampf gegen das Bahnprojekt aufgeben. Die Bürger hätten am Sonntag eine klare Entscheidung für Stuttgart 21 getroffen.
„Die nehmen wir an - ohne Hintertürchen und doppelten Boden“, sagte Kretschmann am Montag nach einer Sitzung des grün-roten Kabinetts in Stuttgart. Es sei nicht sein Ziel, das Milliardenprojekt noch über die Kostenfrage zu Fall zu bringen. „Wir werden jetzt umschalten von ablehnend-kritisch auf konstruktiv-kritisch.“
Doch der Konflikt zwischen Grünen und der Bahn über mögliche Mehrkosten schwelt weiter. Strittig ist, wer zahlt, wenn der Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro gesprengt wird. Am Montagabend versammelten sich Gegner des Projekts zur 101. Montagsdemonstration vor dem Stuttgarter Kopfbahnhof. Die Polizei sprach von 2000, die Veranstalter von 3500 Teilnehmern. Die Projektgegner wollen an diesem Sonntag im Stuttgarter Rathaus ihr weiteres Vorgehen beraten.
Bahnchef Rüdiger Grube bekräftigte in Berlin: „Es darf sich keiner in die Ecke setzen und sagen "ich nicht".“ Für die Bahn gehöre zur Förderpflicht auch, dass das Land sich an etwaigen Zusatzkosten beteiligt. Das Land hat sich aber darauf versteift, keinen Cent mehr als den Anteil von maximal 930 Millionen Euro zum unterirdischen Tiefbahnhof beizusteuern.
Die Grünen gehen jedoch davon aus, dass die Kosten aus dem Ruder laufen. Kretschmann sprach von „massiven Differenzen bei der Kostenfrage“ mit der Bahn. Er mahnte: „Die Zeiten, wo man einfach Großprojekte anfängt und dann explodieren die Kosten und dann muss man nachschießen, die sind vorbei.“
Die Bahn und auch die Opposition im Südwesten forderten Grün-Rot auf, das Projekt aktiv zu unterstützen. Eine „kritische Begleitung“ wie bisher reiche jetzt nicht mehr, sagte Bahnvorstand Volker Kefer. CDU-Fraktionschef Peter Hauk sagte: „Wir erwarten eine konstruktiv-fördernde Unterstützung.“ Die Grünen müssten die „Querschüsse“ beenden, mahnte CDU-Chef Thomas Strobl. Kretschmann und Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) müssten sich an die „Buchstaben und den Geist der Verträge“ zu S21 halten.
Bei der Volksabstimmung hatte am Sonntag eine Mehrheit von 58,8 Prozent gegen einen Ausstieg des Landes gestimmt. Nur 41,2 Prozent waren für eine Kündigung der Finanzierungsverträge mit der Bahn. Die Abstimmungsbeteiligung lag bei 48,3 Prozent.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte das Plebiszit als Ja zu einem wichtigen Stück Infrastruktur im Raum Stuttgart. „Das Votum der Baden-Württemberger gestern zeigt, dass die Mehrheit der Bürger es auch so sieht“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Er machte aber deutlich, dass Volksentscheide am Ende einer jahrelangen Projektplanung fragwürdig seien und die Bundesregierung eine Bürgerbeteiligung gleich zu Beginn anstrebe.
Grün-Rot im Südwesten will als Konsequenz aus dem S21-Referendum Volksabstimmungen vereinfachen und das Quorum von einem Drittel drastisch senken. „Die Landesverfassung sollte unserer Ansicht nach geändert werden“, sagte Kretschmann. SPD-Landeschef Nils Schmid kündigte an, dass dies bis zum nächsten Sommer einvernehmlich mit allen Landtagsfraktionen geschehen solle. Künftig sollen 20 Prozent der Wahlberechtigten ausreichen.
Der S21-Gegner Hermann steht weiter in der Kritik. Nach mehreren Rücktrittsforderungen aus Politik und Wissenschaft fragte Hermann im ZDF-„Morgenmagazin“: „Was kann einem Land besseres passieren als einer, der alle Schwächen des Projekts kennt, dass der aufpasst, dass die Interessen des Landes wahrgenommen werden?“. FDP-Landeschefin Birgit Homburger sagte, es bleibe schleierhaft, wie Hermann das Projekt umsetzen wolle. „Hätte er auch nur einen Hauch von Stil, wäre er zurückgetreten.“
Schmid und Kretschmann verteidigten den Minister. „Es wäre geradezu aberwitzig, wenn jeder Minister, der in einer Sachfrage gefragt ist, nach einer Volksabstimmung zurücktreten muss“, sagte der SPD-Chef. Auch Kretschmann erklärte: „Ich sehe keinen Grund, ihn zu entlassen.“