Abgesetzte Chefanklägerin Luisa Ortega, Maduros Gegenspielerin

Caracas (dpa) - Ihr Abgang ist dramatisch. Bewaffnete Soldaten haben ihren Amtssitz umstellt. „Ich klage diese Willkür vor der nationalen und internationalen Gemeinschaft an“, sagt Luisa Ortega Díaz.

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Sie wird nicht mehr in ihr Büro hineingelassen.

Die Nachricht sickert durch: Ortega ist abgesetzt. Die Lage wird zunehmend brenzlig. Zwei Leibwächter packen Ortega auf ein Motorrad, nehmen sie in die Mitte, rasen davon.

Weltweit ist die mutige Generalstaatsanwältin und Leiterin des Ministerio Publico nun zum Symbol dafür geworden, dass selbst das Lager der regierenden Sozialisten in Venezuela tiefe Risse hat. Aber niemand hat sich getraut, Staatschef Nicolás Maduro derart die Stirn zu bieten. Die Chefanklägerin des Staates wurde zur obersten Regierungskritikerin.

Ende 2007 war sie noch zu Zeiten des damaligen Präsidenten Hugo Chávez vom Parlament gewählt worden. 2014 wurde ihre Amtszeit bis 2021 verlängert, jeweils mit der da noch vorhandenen Mehrheit der Sozialisten im Parlament. Sie unterstützte den Ansatz, mit den Öleinnahmen Millionen Menschen aus der Armut zu holen und war lange Zeit treu auf Regierungslinie.

Ortega war es auch, die 2014 Oppositionsführer Leopoldo López anklagen ließ, wegen angeblicher Anstachelung zu Gewalt, bei mehrmonatigen Protesten kamen damals 43 Menschen ums Leben. Er wurde zu fast 14 Jahren Haft verurteilt, die er seit Juli im Hausarrest verbüßen durfte. Aber vor einer Woche wurde er nachts abgeholt und ist nun wieder im Gefängnis.

Erst Ende März wurde die 59 Jahre alte Juristin, die in Valle de la Pascua („Ostertal“) geboren wurde, zur Dissidentin. Da hatte der Oberste Gerichtshof das Parlament entmachtet, in dem seit Anfang 2016 die Opposition eine deutliche Mehrheit hat. Auf ihre Kritik hin wurde das Urteil wieder aufgehoben. Dann aber kam es vollends zum Bruch, als Maduro zur Rettung von Macht und Revolution die Idee gebar, eine Verfassungsgebende Versammlung einberufen zu lassen, die die Verfassung von Hugo Chávez aus dem Jahr 1999 aushebeln soll.

Ortega hatte zuletzt bei jeder Gelegenheit das blaue Büchlein mit dem Text der Verfassung hochgehalten, die eine Gewaltenteilung vorsieht. „Sie ist eine Verräterin“, sagte Maduro. Für ihn war sie gefährlicher als die Opposition, da ihre Kritik Umsturztendenzen verstärken konnte. Ortega legte Beschwerde um Beschwerde ein. Und sah eine Manipulation bei der Wahl der 545 Versammlungsmitglieder am 30. Juli zuletzt als erwiesen an.

Als während des Wahltags wieder zehn Menschen starben, prangerte sie das an und kritisierte das Militär und die Polizei. Daraufhin meldete sich der sozialistische Bürgermeister von Caracas, Jorge Ramírez, zu Wort: „„Das ist eine Lüge. (...) Es gab nicht einen Toten im Zusammenhang mit dem heutigen Wahlereignis.“ Er nannte Ortega da schon „die künftige Ex-Generalstaatsanwältin“. Im Internet gab es viel Hetze. In einem Interview berichtete Ortega, dass vor einigen Wochen ihre Tochter und ihr Enkel mehrere Tage entführt worden seien.

Die bittere Ironie: Zwar hätte sie nur vom Parlament abgesetzt werden können und schien davor geschützt als wichtigste Verbündete der Opposition. Doch das Parlament wurde nun kurzerhand durch Maduros Verfassungsversammlung ersetzt und diese mit allen Vollmachten versehen. Erste Handlung: Einstimmig wurde die „Staatsfeindin Nummer 1“ aus dem eigenen Lager abgesetzt. Die Konten sind eingefroren, das Land darf sie nicht verlassen. Ihr könnte nun das Gefängnis drohen.

Zeitweise wurde Ortega sogar als Kandidatin für eine Regierung der nationalen Einheit gehandelt, wenn Maduro gestürzt würde - aber nun hat wohl erst einmal die Gegenrevolution gesiegt. Sie weiß, dass ihr und ihrer Familie Ungemach drohen könnte, aber sie lässt sich nicht mundtot machen. Als sie tatsächlich nur noch den Titel der Ex-Generalstaatsanwältin trägt, meldet sie sich mit einer Stellungnahme an das Volk zu Wort.

„Ich stelle fest, dass in Venezuela ein Putsch gegen die Verfassung in vollem Gange ist.“ Sie werde weiter kämpfen für die Venezolaner, für deren Freiheiten und Rechte. „Bis zum letzten Atemzug.“