Fragen und Antworten Maßhalten statt Muskelspiele: Comeback-Gratwanderung der FDP

Berlin (dpa) - Es ist eine Gratwanderung, die Christian Lindner jetzt hinbekommen muss. Angesichts der vor dem Wahltag geringen Chancen auf eine schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen war der FDP-Chef nicht wirklich darauf vorbereitet, zwischen Regierungsauftrag und selbstverordneter Eigenständigkeit entscheiden zu müssen.

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Und dann lockt ja auch noch Berlin - falls die FDP am 24. September auf der Erfolgswelle von Kiel und Düsseldorf in den Bundestag zurückkehrt.

Warum löst eine Regierung mit der CDU bei Lindner wenig Euphorie aus?

Einerseits gibt es inhaltliche Konfliktfelder. Die Hürden für eine unkomplizierte schwarz-gelbe Liaison an Rhein und Ruhr reichen von der Inneren Sicherheit (mit dem CDU-Wunsch nach Schleierfahndung) über neue Studiengebühren bis zur Mietpreisbremse. Außerdem hält Lindner der NRW-CDU des designierten Regierungschefs Armin Laschet vor, sie habe massiv Wahlkampf gegen die FDP gemacht. Vor allem pocht der oberste Liberale darauf, dass man sich seit dem Debakel der schwarz-gelben Bundesregierung von 2009 bis 2013 und dem Ausscheiden aus dem Bundestag auf einen eigenständigen Kurs festgelegt habe - also ohne Festlegung auf einen Koalitionspartner.

Hängt die FDP das Fähnlein am Ende wieder nach dem Wind?

Lindner hat Ende April auf dem Bundesparteitag in Berlin durchaus klargemacht, dass ihm die Union von Kanzlerin Angela Merkel weiterhin als Partner am liebsten wäre. Auch das FDP-Wahlprogramm weist in diese Richtung. Es lässt aber bewusst die Tür für eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen oder auch für ein Jamaika-Bündnis mit Union und Grünen offen. Denn Zweier-Koalitionen sind selten geworden, darauf sollte die FDP nicht setzen - die Situation in Nordrhein-Westfalen ist da schon fast eine Ausnahme.

Oder will die FDP nur den Preis für Schwarz-Gelb hochtreiben?

Das könnte ein willkommener Nebeneffekt sein, aber Lindners Koalitions-Skrupel sind erstzunehmen. Der Parteichef will auch an die rund 200 000 NRW-Wähler denken, die von SPD und Grünen zur FDP gewechselt seien. Zudem sei die enge Beziehung zur CDU nicht mehr so selbstverständlich wie früher. Stimmensplitting - die Aufteilung von Erst- und Zweitstimme auf CDU und FDP - habe es am Sonntag so gut wie gar nicht gegeben. Lindner weiß aber auch, dass er es mit dem Geziere nicht übertreiben darf. „Es ist nicht ganz einfach, jetzt den richtigen Ton zu treffen“, räumt er ein. Sowohl FDP-Arroganz als auch zu viel Bescheidenheit will er vermeiden. Lindners Credo: „Nur wenn es einen echten Politikwechsel gibt, sind wir dabei.“ Es gehe der FDP eben nicht nur um neue Minister-Dienstwagen.

Was fängt Lindner persönlich mit seinem NRW-Wahltriumph an?

Da hat er sich früh festgelegt, und weder seine Partei noch die Wähler in Nordrhein-Westfalen haben es ihm verübelt: Bundespolitik vor Landespolitik. Zwar will Lindner als Fraktionschef im Landtag noch die volle Verantwortung für eventuelle Gespräche mit der CDU in Nordrhein-Westfalen übernehmen, inklusive FDP-Mitgliederbefragung über einen Koalitionsvertrag. Aber danach fährt der Lindner-Zug Richtung Berlin - in fester Erwartung des FDP-Comebacks auch dort. „In jedem Fall ziehe ich es vor, einflussloser Abgeordneter der Opposition im Bundestag zu sein, als stellvertretender Ministerpräsident in Düsseldorf“, betont der 38-Jährige.

Welche Personalreserven hat eine NRW-FDP ohne Lindner denn noch?

Die Liberalen trauen sich auch bei seinem Weggang aus Düsseldorf zu, „im Falle eines Falles Regierungsverantwortung zu übernehmen“, versichert Lindner. Doch die FDP-Personaldecke ist nicht allzu üppig, zumal es auch Talente wie NRW-Generalsekretär Johannes Vogel oder erfahrene Leute wie Otto Fricke und Alexander Graf Lambsdorff nach Berlin zieht. Der frühere NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart und der Energiemanager Andreas Reichel gelten in Düsseldorf als ministrabel, Lindners „Kronprinz“ dürfte der bisherige Fraktionsvize Joachim Stamp werden.