Merkels Problem: Türkei kann nicht, Österreich will nicht
Brüssel (dpa) - „Vollkommen verständlich“, findet Kanzlerin Angela Merkel die Absage des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu. Nach dem Terroranschlag in Ankara konnte er am Donnerstag nicht zur Tagesordnung übergehen und zu Verhandlungen über die Flüchtlingskrise nach Brüssel reisen.
Doch damit nahm Merkels Plan, der so sehr auf die Türkei setzt, schon vor Beginn des EU-Gipfels Schaden. Denn Ergebnisse lassen so weiter auf sich warten.
Und es kam noch dicker. Ausgerechnet Österreich, Deutschlands enger Freund und Partner, wird für Merkel zum nächsten Problemfall. Der Club der Willigen, also die Koalition der elf EU-Länder, die mit der Türkei an einer Lösung arbeiten wollten, ist damit ernsthaft in Gefahr.
Österreichs Vize-Kanzler Reinhold Mitterlehner jedenfalls fand klare Worte: „Es kann jeder ableiten, dass die Koalition der Willigen in der Form offensichtlich nicht mehr besteht“, sagte der konservative Politiker.
Und Österreichs sozialdemokratischer Bundeskanzler Werner Faymann beharrte trotz aller Kritik auf der umstrittenen Flüchtlings-Obergrenze, die Wien verhängt hatte. Zuvor hatte die EU-Kommission dies als Verstoß gegen internationales Recht gerügt. Faymann, der gemeinsam mit Merkel im September die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet hatte, ermahnte aber die EU: „Wir sind mit gutem Beispiel vorangegangen. Jetzt seid Ihr dran.“
Das alles kann Merkel nicht recht sein - die Türkei derzeit handlungsunfähig und Österreich unwillig.
In Deutschland sind die Erwartungen an dieses Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs riesig - obwohl sich die Bundesregierung und auch Merkels CDU tagelang bemühten, eben solche Erwartungen zu dämpfen. Es werde lediglich eine „Zwischenbilanz“ gezogen, überprüft, wie es um die Umsetzung bereits getroffener Beschlüsse stehe, betonte Merkel.
Die Zwischenbilanz könnte so aussehen: Fortschritte beim Ausbau der Grenzschutz-Operationen. Aber Fehlanzeige bei der vereinbarten fairen Verteilung von 160 000 Flüchtlingen. Und den Plan für feste Quoten für weitere Flüchtlings-Kontingente hat Merkel ganz beerdigt. Immerhin: In einem Entwurf zur Abschlusserklärung des Gipfels heißt es, die „Politik des Durchwinkens“ müsse ein Ende haben also das Weiterreichen von Flüchtlingen von einem Land in das andere.
Aus Sicht vieler Bürger in Deutschland und von Merkels Kritikern in der CDU und vor allem in der CSU ist das alles zu wenig. Die EU wird inzwischen als so gut wie handlungsunfähig empfunden. Dabei hätte Merkel dringend vor den Wahlen Mitte März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ein Signal gebraucht, dass Deutschland bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten entlastet wird.
Doch in der zerstrittenen EU war zuletzt von Solidarität bei der Bewältigung des Flüchtlingszuzugs immer weniger die Rede, dafür aber von Grenzzäunen zwischen Griechenland und Mazedonien sowie Obergrenzen für Flüchtlinge und Grenzkontrollen, wie Österreich sie gerade eingeführt hat. Verbunden damit ist die Sorge vor einem faktischen Ende der Freizügigkeit im Schengen-Raum.
Die Nachricht vom Attentat auf einen Militärkonvoi in Ankara mit mindestens 28 Toten zerstörte die Hoffnung, dass es wenigstens in Gesprächen mit der Türkei Fortschritte geben könnte. „Meine ganze Kraft“, sagte Merkel noch vor zwei Tagen, konzentriere sie auf den „europäisch-türkischen Ansatz“.
Bei einem Sondertreffen des „Clubs der Willigen“ um Merkel mit Davutoglu sollte der EU-Türkei-Aktionsplan vorangetrieben werden, für den drei Milliarden Euro bereitstehen. Sicherung der türkisch-griechischen Seegrenze, Rücknahme der Flüchtlingen und bessere Lebensbedingungen für die Syrien-Flüchtlinge in der Türkei und dann, am Ende, freiwillige Kontingente zur Übernahme von Flüchtlingen aus der Türkei in die EU-Länder.
Durch die Absage der Brüssel-Reise Davutoglus ist dieser Plan erst einmal auf Eis gelegt, auch wenn das Treffen schnell nachgeholt werden dürfte. Das Attentat von Ankara macht aber auch deutlich, welch schwieriger Partner die Türkei in der Flüchtlingskrise ist. Der Konflikt mit den Kurden bedroht die Einheit des türkischen Staates, zugleich rutscht das Land immer weiter in die regionalen Wirren des Syrien-Krieges. Für die Türkei sind die europäischen Sorgen wegen der Flüchtlinge längst nicht das größte Problem.
Der Europaabgeordnete Herbert Reul (CDU) sagt der Deutschen Presse- Agentur: „Vielleicht führen die Angriffe in der Türkei ja auch dazu, dass Europa wieder näher zusammenrückt und alle Verantwortlichen verstehen, was auf dem Spiel steht.“ Das wäre eine Chance für Merkel auf dem Gipfel. Vielleicht aber, sagt Reul, und das wird sich am Ende in Brüssel zeigen, wird das Chaos nur noch größer. Merkel jedenfalls geht mit einem klaren Satz in die Beratungen: „Wir wollen eine Lösung der 28“, also aller Mitgliedsstaaten. Das galt nicht als sehr wahrscheinlich.