Merkels schwierige Mission in Ankara - Gespräch ohne viel Vertrauen

Berlin (dpa) - Die Kanzlerin ist bestürzt über das Attentat in Ankara mit fast 100 Toten. Ein „besonders feiger Akt“ gegen Demokratie und Frieden, betont Regierungssprecher Steffen Seibert stellvertretend für Angela Merkel auch zwei Tage nach dem Anschlag noch einmal.

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Seibert kündigt überraschend eine Reise an: Am Sonntag fliegt Merkel in die türkische Hauptstadt, um mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu zu sprechen.

Eine schwierige Mission. Seit langem ist es um das deutsch-türkische Verhältnis nicht gut bestellt. Es gibt kein großes Vertrauen. Und nun will Merkel mit Ankara über so existenzielle Herausforderungen wie den Syrien-Krieg, die Flüchtlingskrise und die Terrorbekämpfung sprechen. Und das auch noch wenige Tage vor der Parlamentswahl am 1. November und mitten im eskalierenden Konflikt zwischen türkischer Regierung und den Kurden.

Zwei jüngere Beispiele für zerstörtes Vertrauen sind die lange nicht erkannte NSU-Mordserie in Deutschland mit türkischstämmigen Opfern - deren Angehörige zunächst auch noch von den Ermittlungsbehörden verdächtigt wurden - und die Kritik von Bundespräsident Joachim Gauck an Ankara. Gauck hatte im April 2014 in der Türkei vor Demokratiedefiziten sowie Einschränkungen bei der Unabhängigkeit der Justiz und der Presse- und Meinungsfreiheit gewarnt. Außerdem sprach er von „Völkermord“ der Türken an den Armeniern 1914. Für Erdogan „unverzeihlich“.

„Das türkische Volk wird dem deutschen Präsidenten Gauck seine Aussagen nicht vergessen und nicht verzeihen“, ließ er damals die Deutschen wissen. Seitdem kam es kaum noch zu hochrangigen deutsch-türkischen Treffen. Merkel durchbricht nun mit ihrem Besuch diese Distanz und macht sich nach Ankara auf - obwohl Erdogan kein „Wunschgesprächspartner“ ist, wie es ihr CDU-Vize Armin Laschet formuliert. Er erklärt: „Wir haben viel Kritik an Herrn Erdogan. (...). Aber ohne ihn wird eine Lösung nicht möglich sein.“

Gemeint ist die Flüchtlingskrise. Merkel hat in den vergangenen Tagen deutlich gemacht, wie sehr sie dabei auf die Türkei zählt - als Nato- Partner und Ansprechpartner der Europäischen Union (EU). „Die Türkei spielt eine Schlüsselrolle“, sagt sie. Und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker betont: „Wir brauchen die Türkei, um die Außengrenzen der EU zu sichern.“ Unangenehm für die Kanzlerin und CDU-Chefin, dass sie schon immer gegen das türkische Begehren einer EU-Vollmitgliedschaft war - und dies gerade erst bekräftigt hat.

Zugleich stellt sie klar, dass die EU auf die Türkei als stabilen Staat an der Grenze zu Syrien und als Helfer für Flüchtlinge im Mittelmeer setzt - das Mittelmeer, das nach Erdogans Worten von Europa in ein „Grab“ für Flüchtlinge verwandelt wurde.

Die Türkei ist eines der Haupttransitländer für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Laut Erdogan hat sein Land 2,2 Millionen Menschen aufgenommen - darunter weitgehend Syrer, aber auch Iraker und Afghanen. 7,8 Milliarden Dollar (6,9 Mrd. Euro) habe die Türkei für die Flüchtlinge ausgegeben. Die EU-Kommission will der Türkei nun 2015 und 2016 bis zu eine Milliarde Euro für die Betreuung und Versorgung von Flüchtlingen geben - wenn sie Flüchtlinge besser versorgt und im Land behält.

Die Türkei dürfte aber versuchen, der EU nun mehr abzuverlangen. Etwa die ersehnte Visafreiheit für ihre Bürger und die Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel auf dem Weg zur Aufnahme in die EU. Beides Themen, die an Merkels Union nicht scheitern dürften. Gespräche über weitere Kapitel wären ein Signal, aber noch lange keine Vollmitgliedschaft.

Ferner sucht Ankara Mitstreiter für die Einrichtung einer Pufferzone entlang der syrischen Grenze, in der syrische Flüchtlinge bleiben können. Das Problem ist: Wer schützt diese Zone, und wie? Viele denken an das Massaker während des Bosnien-Krieges 1995 in Srebrenica, als Blauhelm-Soldaten die Ermordung von 8000 überwiegend Männern und Jungen durch Serben nicht verhindert haben.

Die Grünen fordern, vor der Wahl in der Türkei nichts zu unternehmen, was nach Stärkung von Erdogan aussehen könnte. Aus Merkels CDU verlautet die gegenteilige Ansicht: Die Gespräche eher intensivieren, weil die internationale Lage keinen Zeitverlust erlaube.

Merkels Botschaften mit ihrem Ankara-Besuch könnten vielfältig sein: Solidarität im Kampf gegen den Terror und bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise sowie enge Absprachen unter Nato-Partnern zum Syrien-Krieg. Und zugleich ein offenes Gespräch über den Kurden-Konflikt in der Türkei - die Bundesregierung sieht die Eskalation zwischen der Regierung und der verbotenen Arbeiterpartei PKK seit der Aufkündigung der Waffenruhe im Juli mit großer Sorge. Aber sie könnte auch ein Signal nach Innen bezwecken: Merkel handelt. Sie verhandelt über Bedingungen, die ihr helfen würden, recht zu behalten mit ihrem „Wir schaffen das“.