Mit Schweinsteiger und Hummels zur EM
Ascona (dpa) - Bei Bastian Schweinsteiger und Mats Hummels glaubt Joachim Löw weiter an tragende EM-Rollen - den verletzten Marco Reus hat der Bundestrainer dagegen aus seinen Titel-Plänen gestrichen.
„Er hat massive gesundheitliche Probleme. Er kann nur geradeaus laufen“, sagte Löw drastisch nach der „bitteren Entscheidung“, die er dem Dortmunder Reus an dessen 27. Geburtstag mitteilen musste.
Das erneute Turnier-Aus für Reus schmerzte den Bundestrainer sichtlich. „Menschlich gesehen tut mir die Entscheidung gegen die Spieler sehr weh. Ich weiß, dass es eine große Enttäuschung ist“, sagte Löw vor allem zum Härtefall Reus, der schon den WM-Triumph in Brasilien auf unglückliche Weise verpasst hatte.
Doch nach der konsequenten Maßnahme, den spielerisch begnadeten, aber körperlich anfälligen Reus, die Leverkusener Karim Bellarabi und Julian Brandt sowie den Hoffenheimer Sebastian Rudy nicht mit zur Europameisterschaft nach Frankreich zu nehmen, formulierte der Weltmeistercoach sein Vorgehen bei der finalen Auslese: „Das ist keine Entscheidung gegen drei oder vier Spieler, sondern für 23.“
Für das auf 24 Mannschaften aufgestockte und damit noch intensivere Turnier in Frankreich braucht Löw Spieler mit überragender Fitness. Ins Risiko ging er nur bei den zwei exponierten Führungsspielern Bastian Schweinsteiger und Mats Hummels, die nach ihren Verletzungen im Trainingslager noch um den Anschluss ans Teamtraining ringen. „Die Prognosen bei Schweinsteiger und Hummels sind klar, dass sie beim Turnier zur Verfügung stehen“, unterstrich Löw.
Wegen der hartnäckigen Schambein-Entzündung von Reus, die der DFB in der ersten Woche von Ascona immer wieder verharmlost hatte, wollte die medizinische Abteilung um Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt keine Garantien für den BVB-Star abgeben. „Die Mediziner sind sehr skeptisch, dass er die nächsten Wochen bei dem zehrenden Turnier voll belastbar ist“, berichtete Löw. Wegen einer schweren Fußverletzung hatte Reus schon die triumphale WM 2014 in Brasilien kurzfristig verpasst.
Auch für Defensivspieler Rudy sowie die Offensivkräfte Brandt und Bellarabi ist der EM-Traum geplatzt. Rudy hatte zuletzt noch zweimal über 90 Minuten gegen Italien (4:1) und die Slowakei (1:3) spielen dürfen. Bei Bellarabi hatte sich die Ausmusterung angedeutet. In der EM-Saison kam der 26-Jährige nur noch in drei Länderspielen insgesamt 67 Minuten zum Zuge. Der 20 Jahre alte Brandt ist ein Kandidat für die Zukunft. Alle könnten die Entscheidung auch als „Chance und Motivation sehen“, erklärte Löw.
Die Jungstars Joshua Kimmich (21), Julian Weigl (20) und Leroy Sané (20) sind bei der EM vom 10. Juni bis 10. Juli in Frankreich dabei. Damit kommt es zu einem ähnlich krassen Umbruch im DFB-Team wie bei der WM 2010, als nach der Verletzung von Kapitän Michael Ballack in Südafrika die heutigen Stammkräfte Sami Khedira, Mesut Özil, Thomas Müller, Toni Kroos und Manuel Neuer im Tor aufrückten.
Die neue Jugendfraktion soll vor allem im Training die etablierten Kräfte unter Druck setzen. Denn nach zwei sportlich durchwachsenen Jahren ist es auch für die noch 14 Weltmeister im Kader schwer, den Schalter wieder auf Höchstleistungen umzulegen. „Wir sollten uns nicht so sicher sein, dass das Turnier schon klappen wird“, warnte der Mittelfeldlenker Khedira.
Die Mentalitätsprobleme nach so einem Triumph seien „völlig normal und menschlich“ gewesen, bemerkte der erfahrene Profi von Juventus Turin. Khedira ist durch Schweinsteigers Probleme zum heimlichen Kapitän der Nationalmannschaft aufgestiegen. Jetzt seien alle dafür verantwortlich, nach dem WM-Titel in Frankreich den positiven Geist wieder zu entwickeln, forderte Khedira: „Jeder muss sich auf seine eigenen Stärken besinnen und die zum Vorschein bringen.“
Kapitän Schweinsteiger und Weltmeister-Kollege Hummels nehmen allerdings die Ungewissheit mit in die weitere Vorbereitung, zu welchem Turnierzeitpunkt sie zu echten Leistungsträgern werden können. Löw sprach zwar von „Fortschritten“ und davon, dass der 31 Jahre alte Schweinsteiger nach zwei Knieverletzungen im EM-Jahr wieder „voll belastbar“ sei. Doch auch im Fall Reus hatte der Bundestrainer bis zuletzt in öffentlichen Aussagen Optimismus verbreitet. Bei Hummels' Genesung von einem Muskelfaserriss in der Wade müsse man „noch abwarten“, berichtete der Bundestrainer.
Bis zum Freitag wird Löw seine EM-Fahrer weiter in der Schweiz vorbereiten. Dann geht es zur Turnier-Generalprobe am Samstag (18.00 Uhr/ZDF) in Gelsenkirchen gegen Ungarn. „Wir müssen uns in gewissen Dingen verbessern, das wird auch passieren“, äußerte Defensivspieler Benedikt Höwedes. Der Schalker Weltmeister selbst ist „extrem froh“, dass er nach seiner Verletzung rechtzeitig fit geworden ist.