Interview Müntefering: „Der Angriff trifft nicht nur mich“

Berlin (dpa) - Die SPD-Politikerin Michelle Müntefering erfuhr am Montag, dass ihr Name auf einer Liste des türkischen Geheimdienstes MIT steht.

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Jetzt spricht sie in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur erstmals darüber, wie sie sich das erklärt, was das für sie bedeutet und ob sie Konsequenzen zieht.

Frage: Wer hat Sie wann und wie informiert, dass Sie auf der Liste stehen?

Antwort: Montagnachmittag hat das BKA mich unterrichtet, dass es eine Liste der Türkei gäbe, auf der auch mein Name auftaucht. Dass es sich um die besagte Liste des türkischen Geheimdienstes handelt, die in München an Deutschland übergeben wurde, konnte ich mir dann nach den Medien-Berichten am Abend zusammenreimen. Gestern wurde es mir dann von einem Investigativ-Journalisten bestätigt.

Frage: Wie erklären Sie sich, dass Sie auf der Liste gelandet sind?

Antwort: Ich bin als Vorsitzende der Parlamentariergruppe intensiv mit der Türkei beschäftigt. Klar ist: Die türkische Regierung fährt einen radikalen Kurs gegenüber Kritikern. Die Mittel, die gewählt werden, um Meinungsfreiheit zu unterdrücken, sind unverhältnismäßig, aber auch willkürlich. Das habe ich klar und deutlich gesagt. Der Angriff auf mich trifft meines Erachtens allerdings nicht nur mich allein, sondern auch die Arbeit der Parlamentariergruppe insgesamt.

Frage: Waren Sie überrascht?

Antwort: Es macht mich eher betroffen. Denn die deutsch-türkischen Beziehungen, die mir am Herzen liegen, haben in den letzten Monaten immensen Schaden genommen. Dabei ist ein gutes Verhältnis unserer Länder, die einander länger verbunden sind als es unsere Staaten überhaupt gibt, so wichtig. Die Türkei ist viel mehr als (Präsident Recep Tayyip) Erdogan, sie ist ein wunderbares Land, mit vielen großherzigen Menschen. Das dürfen wir auch in schwierigen Zeiten nie vergessen. Deswegen brauchen wir auch weiter den Dialog.

Frage: Welche Kontakte haben Sie zu der Gülen-Bewegung?

Antwort: Als Außenpolitikerin im Bundestag bin ich für die Türkei und den Nahen und Mittleren Osten zuständig. In meinem Wahlkreis leben tausende Deutsch-Türken, die alle in verschiedenen Vereinen und Gruppen organisiert sind und mit mir diskutieren wollen. Das mache ich auch. Meine Aufgabe ist es, immer im Austausch zu sein und klare Worte zu finden, auch gegenüber unterschiedlichsten und schwierigsten Gesprächspartnern.

Ich unterhalte Kontakte zu Oppositionellen, auch mit Gülen-Vertretern hatte ich ein paar mal Kontakt, mit Pro-Erdogan-Gruppen allerdings noch viel öfter. Keiner von beiden Gruppen stehe ich nahe, denn als deutsche Abgeordnete vertrete ich die Interessen unseres Landes im In- und Ausland. Allerdings hat die Gülen-Bewegung vor Jahren nach einem Termin mit Kindern- und Jugendlichen meinen Namen ungefragt für eine Veranstaltungswerbung verwendet. Da stand dann mein Name dann neben dem von (dem damaligen US-Präsidenten Barack) Obama, das war schon fast wieder lustig; aber diese Vereinnahmung habe ich natürlich gleich als grenzwertig vermerkt und Termine aufs Nötigste begrenzt.

Dennoch entsetzt es mich jetzt zu sehen, mit welchen Methoden Menschen denunziert werden sollen. In der Türkei ist es bereits weit über hunderttausend Menschen so ergangen. Die haben aber im Gegensatz zu uns keinen Rechtsstaat, sondern sind einfach suspendiert oder ins Gefängnis gebracht worden, darunter auch zahlreiche Diplomaten im Auswärtigen Dienst. Angeblich alles Terroristen. Auch das habe ich kritisiert.

Frage: Welche persönlichen Konsequenzen ziehen Sie aus der Enthüllung?

Antwort: Ich lasse mich davon nicht beeindrucken und bleibe im Gespräch. Demnächst besucht eine Ditib-Jugendgruppe den Bundestag - auch mit ihnen werde ich offen und kritisch darüber diskutieren, wohin das Land ihrer Vorfahren steuert. Deutschland ist sicher nicht perfekt, aber wir sind ein Rechtsstaat, eine starke Demokratie, die wir pflegen müssen. Denn ungefährdet ist Demokratie nie, diese Lehre aus unserer Geschichte müssen wir auch an die jungen Deutsch-Türken weitergeben. Sie sollen sehen: Demokratisch und gemeinsam kann man besser Frieden bewahren, als nationalistisch und abgeschottet.

Frage: Welche Konsequenzen muss die Bundesregierung daraus ziehen?

Antwort: Die Bundesregierung muss sich überlegen, wie es nach dem Referendum mit der Türkei weitergeht. So wie bislang jedenfalls kann es wohl nicht bleiben. Ich hoffe jedoch, dass sich die Türkei nicht gänzlich von Europa abwendet.

ZUR PERSON: Die 36-jährige Müntefering wurde 2013 in Herne und Bochum mit dem drittbesten Ergebnis der SPD-Kandidaten in den Bundestag gewählt. Seitdem ist sie Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Verbraucherschutz und Recht und Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe. In Berlin ist sie nur in den Sitzungswochen des Bundestags - „auf Montage unter der Kuppel“, wie man im Ruhrgebiet sagt. Seit gut sieben Jahren ist die studierte Journalistin mit dem früheren SPD-Chef Franz Müntefering verheiratet.