Analyse Die lange Nacht der schwarz-roten Wahlkämpfer
Berlin (dpa) - Der Hauptdarsteller ist am Morgen danach schon wieder unterwegs. Sechseinhalb Stunden dauert die nächtliche Premiere von Martin Schulz im Kanzleramt.
Bei Matjes und Sprudel sitzt der SPD-Herausforderer mit Hausherrin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und den übrigen Koalitionsspitzen zusammen. Erst um 2.30 Uhr ist Schluss. Die Resultate sind überschaubar.
Schulz wollte eigentlich gar nicht beim Koalitionsausschuss erscheinen. Der Mann aus Würselen ist aus SPD-Sicht auch deswegen so populär, weil er nicht mit der großen Koalition in Verbindung gebracht wird. Die Union sprach von „Arbeitsverweigerung“. Dann sagte Schulz doch zu.
Nach einer Mütze Schlaf ist er am Donnerstag in Nordrhein-Westfalen auf Achse. In seiner Heimat steigt am 14. Mai die kleine Bundestagswahl. Die Sozialdemokraten setzen im bevölkerungsreichsten Bundesland mit Hannelore Kraft auf einen ähnlich klaren Sieg wie zuletzt die CDU im Saarland. Eine Woche zuvor wählt Schleswig-Holstein - auch dort sagen Umfragen der SPD Erfreuliches voraus.
Aber was geht wohl in den Köpfen von Merkel und Schulz in der langen Nacht vor? Sie weiß, er will, dass sie im Herbst nach zwölf Jahren auszieht. Er weiß, niemand hat so viel Macht und Erfahrung, um das zu verhindern. Von den beiden 61-Jährigen hört man selbst nichts. „Es gab keine Schlägerei, keine Verwundeten, keine Blessuren“, sagt ein Teilnehmer der Runde.
Bei den Inhalten geht es in der Marathonsitzung beinhart zur Sache. Wer hat mehr herausgeholt? Im Kampf um die Deutungshoheit schickt die Union Fraktionschef Volker Kauder ins Rennen. Der CDU-Mann lobt die „gute Atmosphäre“, um dann zum Angriff überzugehen. Die Union hätte sich ja gerne bei Themen wie der Eindämmung von Managergehältern oder dem Recht auf befristete Teilzeit- und Rückkehr in Vollzeitarbeit bewegt. Tja, die SPD aber wollte mit dem Kopf durch die Wand, lautet Kauders Wahlkampf-Tenor.
Das können die Genossen nicht auf sich sitzen lassen. „Bei allen Fragen, die mehr Gerechtigkeit betreffen, stoßen wir jetzt an die ideologischen Grenzen der Union“, sagt deren Fraktionschef Thomas Oppermann. In den Tagen vor dem vielleicht letzten Koalitionsgipfel hatte sich die SPD vor allem bei der „Ehe für alle“ (mit Adoptionsrecht für Schwule und Lesben) aufgeplustert, um die Union alt aussehen zu lassen.
Aus Sicht der Opposition ein durchsichtiges Manöver der Sozialdemokraten. Grünen-Chefin Simone Peter lästert, im Rechtsausschuss des Bundestags sei die völlige Gleichstellung homosexueller Paare mit der normalen Ehe bislang 48 Mal vertagt worden - mit Billigung der SPD.
Insgesamt stehen in der Nacht zwei Dutzend Themen auf der Tagesordnung - und das halbe Kabinett ringt um Lösungen und jedes Wort. Schäuble, Dobrindt, Nahles, Hendricks, Maas, Schwesig, Gröhe und de Maizière sitzen zeitweise mit am Tisch. Kompromisse werden nur im Kleinen geschmiedet. Die Union setzt sich mit härteren Strafen zur Abschreckung von Wohnungs-Einbrechern und mehr Befugnissen der Behörden zur Aufdeckung von Sozialleistungsbetrug durch Asylbewerber durch.
Die SPD bekommt durch eine „Härtefallregelung“ mehr Spielraum beim Familiennachzug, damit junge Flüchtlinge nicht völlig auf sich allein gestellt sind. Auch soll es Schutzkonzepte für Flüchtlingsheime geben, um sexuelle Übergriffe auf Frauen und Kinder zu verhindern.
Bei den wirklich großen Brocken wollen sich weder Union und SPD bewegen. Kein Millimeter Boden sei kampflos aufgegeben worden, heißt es. Schwarze und Rote dürften letztlich damit leben können - das gibt Munition für den Wahlkampf.
Vielleicht war es das letzte schwarz-rote Spitzentreffen vor der Bundestagswahl. Aber man weiß ja nie. Außenpolitische Krisen wie Griechenland oder die Türkei könnten eskalieren. Dann werde es keine Spielereien geben. „Es wird vernünftig zu Ende regiert“, heißt es bei der SPD wie in der Union. Zuvor hatte der ein oder andere Genosse gemurrt, noch mal werde man nicht bei Merkel „antanzen“. Abwarten.