Porträt: Die ewig unvollendete Karriere des Hartmut Mehdorn
Berlin (dpa) - Als Bahnchef erkämpfte er Sanierungserfolge und wurde zum Buhmann für ein Heer von Kritikern. Dann kam ein Rettungseinsatz bei Air Berlin. Mit fast 71 steht Hartmut Mehdorn vor der nächsten Problem-Mission.
Für Mehdorn passt die Floskel wie auf kaum einen anderen Topmanager der deutschen Wirtschaft: An Ruhestand denkt er noch nicht. Kurz vor seinem 71. Geburtstag heuert der langjährige Bahnchef und gerade abgetretene Interimskapitän von Air Berlin schon wieder für eine Rettungsmission an - beim Chaos-Projekt des künftigen Hauptstadtflughafens. In der Heimatstadt geht es für den bekennenden Berliner - allzeit kampfbereiter Ingenieur, ausgewiesener Sanierer, Reizfigur - um mehr als eine Trendwende aus der Verlustzone.
„Stress muss nicht schlecht sein, solange er nicht negativ ist“, sagte Mehdorn schon zu seinem 70. Geburtstag. Überhaupt gucke er nicht ständig in die Geburtsurkunde. Sein künftiger Job als Chef der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg ist nach seinen bisherigen Stationen aber auch nicht ohne ironische Note: Vergeblich warb Mehdorn einst für den Erhalt des Berliner Stadtflughafens Tempelhof, der jedoch zugunsten des neuen Groß-Airports geschlossen wurde. Und nun geht er ausgerechnet wieder zu einem Staatsunternehmen, nachdem er bei der Bahn im Dauerkrach mit der Politik um Freiraum gekämpft hatte.
Verflogen ist Mehdorns Erbe beim bundeseigenen Konzern nicht. Auch wenn es schon vier Jahre her ist, dass er - über eine verheerende Affäre um Massenkontrollen von Mitarbeiterdaten - als Konzernchef stürzte. Von Kanzler Gerhard Schröder 1999 von Heidelberger Druck geholt, trimmte Mehdorn die einstige Behörde über zehn Jahre auf eine ehrgeizige neue Strategie. Aus der nationalen Bahn wurde ein globaler Transporteur auch in der Luft, auf der Straße und zur See. Das gilt bis jetzt. Mehdorns Sanierungs-Schlussbilanz: aus operativ 1,5 Milliarden Euro Verlust wurden 2,5 Milliarden Euro Gewinn.
Geblieben ist aber auch die Schar der Kritiker, weil er die Bahn gegen starke Widerstände in Richtung Börse lenkte. Investitionen in Gleisnetz und Züge seien vernachlässigt worden, wettern Politiker, Verbände und Gewerkschafter noch heute und zeigen auf Spätfolgen wie das Technikdebakel bei der S-Bahn Berlin oder störanfällige ICEs. „Mein Vorstand hat die Bahn nicht kaputtgespart, wir haben sie saniert“, wehrte sich Mehdorn noch als Bahner außer Diensten.
Für sein großes Ziel legte sich der Manager („Diplomat wollte ich nie werden“) regelmäßig mit allen an und musste auch Niederlagen einstecken. Brenzlig wurde es etwa 2003, als er ein neues Preissystem nach einem Proteststurm nach wenigen Monaten einkassieren musste. Mit dem Boss der Lokführergewerkschaft GDL, Manfred Schell, lieferte sich Mehdorn 2007/2008 eine beispiellose Tarifschlacht, die Millionen Fahrgäste über Monate in Atem hielt.
Seinem Bestreben, den Einfluss der Politik zu verringern und die Bahn zu einem „normalen Unternehmen“ zu machen, blieb letztlich der Erfolg versagt - einen ersten Anlauf an die Börse stoppte der Bund 2004, den zweiten verhagelte ihm 2008 kurz vorm Ziel die Finanzkrise. Auch in seinem neuen Job will er Widerstände nicht scheuen: „Ich bin bekannt dafür, dass ich einen geraden Weg gehe“, machte er allen auf der Pressekonferenz zu seiner Berufung ganz klar.
Da passt es auch, dass die Luftfahrt Mehdorns alte Leidenschaft ist. Als Chef von Airbus Deutschland (1989 bis 1992) lernte er einst Rüdiger Grube kennen, der ihm an der Bahnspitze folgte. Auch Erfahrung mit problematischen Mega-Baustellen kann Mehdorn aus seiner Bahnzeit vorweisen. Hart erkämpft, setzte er Nachjustierungen beim Berliner Hauptbahnhof (Kosten: gut eine Milliarde Euro) durch, dessen Glasdach von 450 auf 320 Meter gekappt wurde. Nur so klappte die Eröffnung zur Fußball-WM 2006 in Deutschland. „Stellen Sie sich vor, wir wären mit dem Bahnhof nicht fertig geworden“, meinte Mehdorn damals. „Ich glaube, dann hätte man mir die Haut in Streifen vom Körper gezogen.“