Porträt: Die letzte Schlacht verloren
Caracas (dpa) - Streitbar und umstritten, geliebt und gehasst: Hugo Chávez war neben seinem Ziehvater Fidel Castro die Ikone der Linken in Lateinamerika. Seit 1999 steuerte er Venezuela auf Kurs Sozialismus, und die meisten seiner Landsleute folgten dem „Vater der Nation“.
Vor allem die Chavistas in den Armenvierteln zeigten dem „Comandante“ oft bedingungslose Treue. Der Ex-Militär war sicher kein Paradebeispiel eines seriösen Politikers und auch kein Vorzeigedemokrat europäischen Maßstabes. Aber die Mehrheit stand hinter ihm. Daran ließ die Wahl am 7. Oktober 2012, rund fünf Monate vor seinem Tod, keinen Zweifel.
Dabei keimte bei vielen Unterstützern noch am 18. Februar Hoffnung auf, als der 58-Jährige nach mehr als zwei Monaten aus Kuba zurückkehrte. „Wir sind in der venezolanischen Heimat zurück. Danke, mein Gott! Danke, geliebtes Volk!“, twitterte Chávez nach seiner Ankunft. Es stiegen Freuden-Raketen in den Himmel der Hauptstadt Caracas. Seitdem war Chávez im Militärkrankenhaus „Dr. Carlos Arvelo“. Doch was einigen schon schwante, traf dann doch ein: Der Comandante kam wohl letztlich zum Sterben in die Heimat zurück.
Sein Leben war ein steter Kampf, und wenn Menschen nach ihren Freunden und Feinden beurteilt werden, dann war die Liste von Chávez aussagekräftig. Sein Lieblingsfeind war bis zuletzt die US-Regierung, die der wortgewaltige Venezolaner aufs Korn nahm und die für ihn nur das „Yankee-Imperium“ war. Freundschaften pflegte der Ex-Oberstleutnant hingegen in seiner Regierungszeit zu umstrittenen Kollegen wie Mahmud Ahmadinedschad (Iran), Syriens Baschar al-Assad, Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi und Alexander Lukaschenko (Weißrussland). Die Castros auf Kuba waren bis zur allerletzten Stunde engste Weggefährten.
Die meisten seiner Landsleute störten diese illustren Beziehungen wenig. Auch wenn die Opposition in Venezuela Sturm lief gegen die Chavistas und deren Mission der bolivarischen Revolution, konnte sich Chávez trotz aller Unkenrufe auf seine Klientel, die Armen im Land verlassen. 1999 trat er mit 44 Jahren als jüngster Präsident Venezuelas das Amt erstmals an. Nach der Annahme einer neuen Verfassung gewann Chávez auch 2000 mit klarer Mehrheit die Präsidentschaftswahl. 2002 überstand er einen Putsch. 2006 gewann er die nächste Wahl und am 7. Oktober triumphierte er mit mehr als 55 Prozent so klar, dass die Opposition den Sieg rückhaltlos anerkannte.
Nach Ansicht vieler Oppositioneller schuf Chávez aber diktaturähnliche Zustände in dem südamerikanischen Land, das aufgrund seines immensen Rohstoffreichtums zu den größten Ölexporteuren der Welt zählt. Er regierte mit Dekreten, enteignete große Multis, schloss Radio- und TV-Stationen und sympathisierte mit den marxistischen Farc-Rebellen in Kolumbien. Zudem war Chávez in Venezuela omnipräsent.
In der wegen ihrer Länge gefürchteten Sonntagssendung „Aló, Presidente“ legte er in bester Fidel-Castro-Manier stundenlang in Anwesenheit von Partei-Claqueuren seine Sicht der Dinge dar. Es gab mehr als 370 Ausgaben. Jahrelang war der frühere US-Präsident George W. Bush seine Lieblings-Zielscheibe. Seine Hasstiraden gegen ihn sind legendär und Chávez beschimpfte Bush auf Spanisch und Englisch. „Völkermörder, Feigling, Alkoholiker“, waren nur einige Titel, die Chávez für Bush parat hielt.
Doch abseits aller Polemik und Kampfrhetorik stellte Chávez mit seiner Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) gezielt die Weichen für die dritten Phase der bolivarischen Revolution (2009-2019). Es gab eine deutliche Machtkonzentration zugunsten des Zentralstaates. Bis 2019 war er gewählt, doch konnte er am 10. Januar 2013 seinen Amtseid wegen der schweren Krankheit nicht ablegen, seine Regierung blieb aber im Amt.
Im Fernsehen, im Radio und auf Ladeflächen von Wahlkampflastwagen hatte er seinen Widersachern in den vergangenen Jahren immer wieder trotzig und donnernd zugerufen: „Uh, Ah, Chávez no se va!“ (Chávez geht nicht). Der Staatschef, der sein Projekt auf Südamerikas Freiheitshelden Simón Bolívar bezog, musste sich nicht der Opposition und auch keinen Putschisten beugen. Doch gegen die Krankheit waren er und auch die besten Ärzte Kubas und Venezuelas zum Schluss machtlos.