Analyse: Wer zahlt für „Merkels Bahnhof“?
Stuttgart/Berlin (dpa) - Bahnchef Grube kann aufatmen: Das Milliardenprojekt Stuttgart 21 lebt trotz höherer Kostenprognosen - dafür hat er nun Rückendeckung von Bund und Aufsichtsrat. Die nächsten Probleme kommen aber schon.
Die neue magische Zahl lautet jetzt: 6,526 Milliarden Euro. Bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma bezifferte Bahnchef Rüdiger Grube seinen Aufsichtsräten die aktuelle Kostenplanung für Stuttgart 21. Und bekam am Dienstag wie erhofft grünes Licht des Kontrollgremiums, den umstrittenen Bahnhofsumbau im Südwesten fortzusetzen - obwohl dafür nun bis zu zwei Milliarden Euro mehr fällig werden dürften. Trotz der Genauigkeit der Kalkulationen sind die Risiken und Nebenwirkungen aber noch nicht gebannt. Denn die ungeklärte Frage lautet nach wie vor: Wer soll das bezahlen?
Aus ihrer großen Erleichterung machten die Spitzenmanager des bundeseigenen Konzerns keinen Hehl, als die wichtige Sondersitzung des Aufsichtsrats überstanden war. „Das Projekt geht weiter“, lautete das Fazit des zuständigen Infrastruktur-Vorstands Volker Kefer. Da hatte das Kontrollgremium die Kostensprünge gerade nahezu geschlossen mit 18 von 20 Stimmen abgesegnet - nach gründlicher und sorgsamer Prüfung, wie der Vorsitzende Utz-Hellmuth Felcht versicherte. Selten habe ein Aufsichtsrat sich derart intensiv mit einem Projekt befasst.
Dass es zu einem abrupten Aus für S 21 nicht kommen sollte, hatte nicht zuletzt der Bund als Bahn-Eigentümer bereits vorab deutlich signalisiert. Der „Punkt zur Umkehr“ sei überschritten, formulierte es Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) noch kurz vor der Aufsichtsratssitzung. Statt eines „Zurück auf Null“ laute die Frage, „wie man aus dem jetzt erreichten Projektzustand das Beste machen kann“. Soll vor allem heißen: Wie können die Kosten seriös in den Griff gebracht und im Kreis der Projektpartner aufgeteilt werden?
Tatsächlich wird genau dies die nächste schwierige Klippe für Grube, der das Vorhaben mit Amtsantritt 2009 geerbt hatte. Umgehend kündigte er an, mit dem grün-rot regierten Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart verhandeln zu wollen. Nur notfalls müsse es eben eine mehrfach angedrohte Klage sein. Wie der Aufschlag von zwei Milliarden Euro aufzuteilen wäre, sagte er gleich dazu - nämlich wie bisher 40 Prozent für die Bahn und 60 Prozent für die Partner. „Das ist sicherlich auch der Schlüssel, mit dem man in die Verhandlungen geht.“ Das erste Echo aus dem Südwesten kam prompt: Gespräche ja, aber mehr Geld nicht wirklich.
Rasche Fortschritte bei der Mission Mehrkosten-Aufteilung erwartet aber auch die Bahn nicht. Das dürfte „einen längeren bis sehr langen Zeitraum“ in Anspruch nehmen, erläuterte Kefer. Überhaupt würden nicht alle Punkte auf einmal zu klären sein, sondern „nach und nach abgearbeitet.“ Noch länger könnte ein Gerichtsprozess dauern.
Der weitere Fahrplan dürfte auch auf der politischen Bühne aufmerksam verfolgt werden. Vor der Bundestagswahl im Herbst kann Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die das Projekt immer wieder unterstützte, kein Interesse an neuen Hiobsbotschaften haben.
Ein Ende für Stuttgart 21 hätte nun den Grünen wahlkampfträchtig recht gegeben, die seit Jahren gegen das Vorhaben kämpfen. Jetzt kann Schwarz-Gelb in Berlin den Spieß umdrehen und Grün-Rot im Südwesten drängen, das Vorhaben mit zu realisieren. Die Grünen sehen wiederum die Kanzlerin in der Verantwortung für mögliche weitere Kostenschübe, wie Verkehrspolitiker Anton Hofreiter sagte: „Stuttgart 21 ist Merkels Bahnhof.“