Porträt: Jahrzehnte prägte Genscher die deutsche Politik

Berlin (dpa) - Den wohl größten Triumph seiner 23-jährigen Regierungstätigkeit erlebte Hans-Dietrich Genscher am 30. September 1989 in Prag.

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Als er den in die deutsche Botschaft geflüchteten DDR- Bürgern eröffnete, sie könnten in den Westen weiter reisen, ging seine Ankündigung „Ich bin gekommen, um Ihnen mitzuteilen ...“ in einem beispiellosen Jubel unter.

Unter den deutschen Spitzenpolitikern gehörte der FDP-Außenminister neben Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) zu denen, die die Chancen für eine Wiedervereinigung durch den schleichenden Zerfall des kommunistischen Ostblocks erkannten und ergriffen. Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer.

Bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen am 2. Dezember 1990 erlebte Genscher noch einmal einen Triumph. Seine Liberalen, die häufig um den Einzug in die Parlamente zittern mussten, fuhren 11,0 Prozent ein. In Genschers Heimatland Sachsen-Anhalt waren es 19,7 Prozent. Für seine Heimatstadt Halle fiel sogar ein Direktmandat ab.

Nach der vollzogenen Einheit setzte sich Genscher - obwohl er schon zwei Herzinfarkte hinter sich hatte - noch mit aller Energie für die Ratifizierung des Zwei-plus-vier-Vertrages ein. Mit den am 15. März 1991 in Moskau ausgetauschten Ratifikationsurkunden erhielt Deutschland 46 Jahre nach Kriegsende seine Souveränität zurück. Im Mai 1992 trat Genscher - wie viele Außenminister einer der beliebtesten Politiker - auf dem Höhepunkt seiner politischen Erfolge und für viele überraschend aus der ersten Reihe ab.

Der Mann mit dem gelben Pulli, der für eine Generation junger Deutscher schon Geschichte ist, hat als FDP-Vorsitzender (1974 bis 1985), als Innenminister (1969 bis 1974) und vor allem als Außenminister (1974 bis 1992) das Deutschland von heute mitgeprägt wie kaum ein anderer. Als Chef der deutschen Diplomatie war er rastlos unterwegs. Spötter merkten an, dass es Genscher bei seinen vielen Reisen zuwege bringe, sich im Luftraum selbst zu begegnen.

Die steile Karriere Genschers begann in den 50er Jahren. Am 21. März 1927 in Reideburg/Saalkreis geboren, in Halle groß geworden, kam Genscher 1952 in die Bundesrepublik, wo er gleich in die FDP eintrat. Der damalige FDP-Vorsitzende Thomas Dehler holte den jungen Mann 1956 als wissenschaftlichen Angestellten nach Bonn. 1965 zog er erstmals in den Bundestag ein, vier Jahre später war er schon Innenminister.

Die Wendigkeit, die manch ein Kritiker Genscher vorhielt, sicherte eine Jahrzehnte lange Regierungsbeteiligung der Liberalen. 1969 ließen sich Genscher und der damalige FDP-Vorsitzende Walter Scheel bei knappen Mehrheiten auf das Wagnis der ersten sozial-liberalen Koalition ein. Im Innenressort profilierte sich Genscher mit Themen wie dem Umweltschutz und dem Ausbau des Bundeskriminalamtes (BKA). 1974 nach dem Rücktritt von Kanzler Willy Brandt (SPD) wechselte Genscher ins Außenamt und übernahm den FDP-Parteivorsitz von Scheel, der zum Bundespräsidenten gewählt worden war.

1982 vollzog Genscher eine neue Wende. Die Liberalen stürzten um den Preis des Parteiaustritts mehrerer prominenter Linksliberaler SPD-Kanzler Helmut Schmidt und verhalfen Helmut Kohl (CDU) an die Macht. Im neuen schwarz-gelben Kabinett blieb Genscher Außenminister und Vizekanzler. Dort verfolgte er seine Politik der Aussöhnung mit dem Osten weiter. Auch nach seinem Rückzug aus der aktiven Politik meldete sich Genscher - seit 1992 Ehrenvorsitzender der FDP - immer wieder aus dem „Halbruhestand“ zu Wort, sei es zu innerparteilichen Querelen oder aus Sorge um das nach dem Irak-Krieg angespannte transatlantische Verhältnis.