Protest in der Türkei: Erdogan zeigt Härte

Istanbul (dpa) - Zehn Tage nach ihrem Rückzug vom Istanbuler Taksim-Platz geht die türkische Polizei nun wieder mit aller Gewalt gegen Demonstranten vor.

Nach einem ersten Vorstoß auf den Platz am frühen Morgen, feuerte die Polizei am Dienstagabend mit Tränengas und aus Wasserwerfen in eine große Kundgebung der Protestbewegung, wie Augenzeugen berichteten. Bei dem am Morgen begonnenen Großeinsatz hatte die Polizei zunächst Barrikaden rund um das Zentrum der Regierungsgegner aus dem Weg geräumt.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verteidigte den Einsatz und warf den Demonstranten erneut vor, sie hätten sich von Extremisten und internationalen Finanzkreisen instrumentalisieren lassen. International gab es neue Kritik an Erdogans harter Linie.

In einer Rede vor Abgeordneten seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP in Ankara dankte Erdogan der Polizeiführung. Den Demonstranten warf er im Fernsehen Vandalismus und erhebliche Zerstörungen bei den Protesten in den vergangenen zwei Wochen vor. Es gebe einen Versuch, die Türkei mit Beteiligung ausländischer Kräfte wirtschaftlich in die Knie zu zwingen und Investoren einzuschüchtern.

Am Abend strömten nach einem Aufruf der Protestbewegung zehntausende Menschen auf den Platz und in umliegende Straßen. Die Polizei zog sich zunächst an den Rand zurück, griff dann aber an. Vorher hatte es den ganzen Tag über Zusammenstöße mit Demonstranten gegeben, die nicht weichen wollten. Die Polizei feuerte auch mit Gummigeschossen, Demonstranten schossen mit Steinschleudern und warfen Steine.

Auf die Wasserwerfer waren an Morgen aus den Reihen der Protestierenden Brandsätze geworfen worden. Aktivisten in einem Camp am Rande des Taksim-Platzes distanzierten sich nach Medienberichten von der Verwendung von Brandsätzen und erklärten, es handele sich um von der Polizei bestellte Provokateure.

Der Gouverneur der Provinz Istanbul, Hüseyin Avni Mutlu, wies den Vorwurf zurück. Obwohl das gewaltsame Vorgehen der Polizei auch auf Fernsehbildern klar zu erkennen war, erklärte er zudem über den Kurznachrichtendienst Twitter, mit dem Einsatz sollten nur Plakate und Spruchbänder auf dem Platz entfernt werden. Das Protestlager der Demonstranten im Gezi-Park werde nicht angerührt. Später drang die Polizei zeitweise auch in das Lager vor, erklärten Aktivisten.

Ursprünglich hatten sich die schon seit Tagen andauernden Proteste an einem Plan zur Überbauung des Gezi-Parks am Rande des Taksim-Platzes entzündet. Die Protestwelle bekam starken Auftrieb, als die Polizei mit Gewalt ein Zeltlager im Gezi-Park räumte. Inzwischen richten sich die Demonstrationen vor allem gegen den als autoritär kritisierten Kurs Erdogans.

Die türkische Anwaltskammer protestierte scharf gegen die Festnahme von 44 Juristen im Gerichtsgebäude Caglayan in Istanbul. Die Rechtsanwälte hätten Ermittlungen zu den brutalen Polizeieinsätzen gefordert, sagte der Präsident der Kammer, Metin Feyzioglu, der Nachrichtenagentur dpa. Stattdessen seien sie selbst festgenommen worden.

„Die türkische Polizei hat bei den Demonstrationen der vergangenen Tagen mit ihren Tränengasgewehren direkt auf Menschen gefeuert. Sie haben sie wie scharfe Waffen eingesetzt. Deswegen gibt es so schlimme Verletzungen“, sagte Feyzioglu. „Die Anwälte wollten die blinden Augen und tauben Ohren der Staatsanwalt erreichen“, sagte er. Der für die Sicherheit im Gericht zuständige Staatsanwalt habe aber die Polizei gerufen. „Es waren schreckliche Szenen“, sagte er.

Die Kammer verhandelte am Abend weiter über eine Freilassung der Festgenommenen. „Der Staatsanwaltschaft hat mir gesagt, was wenn sie Terroristen sind?“, sagte Feyzioglu.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, kritisierte das Vorgehen der Polizei bei der Räumung des Taksim-Platzes. „Mir macht das große Sorgen, wenn ich den Einsatz der Wasserwerfer und der großen Maschinen sehe“, sagte der FDP-Politiker im Fernsehsender n-tv. Auf keinen Fall dürfe „Gewalt gegen Menschen“ eingesetzt werden. Die Verantwortung dafür liege „bei denjenigen, die politisch das Sagen haben“.