Radfahrer im Gegenwind: VW-Chefkontrolleur Pötsch
Hannover/Wolfsburg (dpa) - Wenn Hans Dieter Pötsch Abstand von der Abgas-Krise braucht, steigt er aufs Rad. Mit Begeisterung erzählt der Österreicher von Touren durch das grüne Umland von Wolfsburg.
Das Handy bleibe dann aus.
Schon bald könnte Pötsch wieder nach einer ausgiebigen Radtour zumute sein. Denn heute dürfte ihm auf der Hauptversammlung ungefilterte Kritik von verärgerten Aktionären entgegenschlagen. Für Pötsch eine neue Erfahrung: Zum einen ist es seine erste Hauptversammlung als Aufsichtsratschef bei VW, zum anderen war in seiner Zeit im Konzern lange vom Unmut der Aktionäre verschont geblieben.
Als Finanzchef lieferte er jahrelang Rekordergebnisse ab und machte sich im Konzern viele Freunde. Seit 2003 gehört Hans Dieter Pötsch zur großen VW-Familie, zwölf Jahre als Finanzvorstand und seit Herbst als Chef an der Spitze des Kontrollgremiums. Seit diesem Wechsel steht er im Kreuzfeuer der Kritik.
„Wir brauchen auch Demut“, fasst Pötsch die aktuelle Situation bei VW mit Blick auf den „Tag der Aktionäre“ zusammen. Gründe dafür gibt es in der Tat reichlich: Der Vorwurf steht im Raum, Volkswagen habe die Finanzmärkte im September zu spät über die Manipulation von elf Millionen Diesel-Fahrzeugen informiert.
Am Montag teilte die Staatsanwaltschaft Braunschweig mit, wegen möglicher Marktmanipulation gegen Ex-Konzernchef Martin Winterkorn sowie gegen einen weiteren Beschuldigten zu ermitteln. Nach dpa-Informationen handelt es sich dabei um VW-Markenchef Herbert Diess. Es gehe bei den Ermittlungen nicht um den amtierenden Aufsichtsratsvorsitzenden, betonte die Staatsanwaltschaft ausdrücklich. VW weist die Vorwürfe seit langem zurück. Es geht um Milliarden.
Kritiker sehen in dem 65 Jahre alten früheren Finanzchef Pötsch eine echte Fehlbesetzung bei der Aufklärung der Hintergründe der Diesel-Affäre. Immerhin war er schon im Vorstand - und damit Teil des obersten Machtzirkels - als unbemerkt von der Weltöffentlichkeit ein kleines Computerprogramm die Stickoxidwerte auf den Prüfständen illegal nach unten korrigierte.
Trotzdem hat der Aufsichtsrat vergangenes Jahr nach langen Debatten Pötsch als Nachfolger für den einstigen Patriarchen Ferdinand Piëch an die Spitze des Aufsichtsrates gewählt. Nicht wenige Kontrolleure hatten dabei Bauchgrummeln. Auch Aktionären stieß es auf, dass er ohne Abkühlphase direkt vom Vorstand in den Kontrollrat wechselte. Am Ende fehlten dem Aufsichtsrat die Alternativen im Konzern, eine externe Nachbesetzung sahen sie als eine noch schlechtere Lösung an.
Pötsch ist sich seiner Lage bewusst. Von Anfang an präsentiert er sich als Aufklärer. „Alles kommt auf den Tisch, nichts wird unter den Teppich gekehrt“, lässt er sich kurz nach Amtsantritt zitieren. An diesem Anspruch will er auch heute nicht rütteln. Dass er jedoch auch zig Monate nach dem Beginn der internen Aufarbeitung noch immer keine(n) Schuldigen präsentieren kann, stärkt seine Position aber gegen die Kritiker keineswegs.
„Wir haben uns selbst in diese Lage gebracht. Nun müssen wir alles dafür tun, um sie so gut wie möglich zu bewältigen“, betont Pötsch. Er weiß, dass die Aktionäre hart mit ihm ins Gericht gehen werden. „Ich trage diese Verantwortung gerne.“
Zumindest im Aufsichtsrat und im Konzernvorstand ist Pötsch inzwischen unumstritten. Er leite die Aufsichtsratssitzungen sehr souverän, sachlich und fungiere auch dank seiner klaren Worte als professioneller Mittler zwischen den verschiedenen Interessensgruppen, heißt es unisono von unterschiedlichsten Mitgliedern. Wann immer in den vergangenen Monaten in den Medien an Pötsch gezweifelt wurde, es dauerte nicht lange, bis ihm namhafte Aufsichtsräte wie VW-Großeigner Wolfgang Porsche zur Seite standen.
Auch er selbst beschreibt seinen Job als Mittler: „Ich bin seit Monaten im Dialog mit Investoren. Ich versuche, ihre Anliegen und die Unternehmensinteressen zu Corporate-Governance-Aspekten übereinanderzulegen und Schnittmengen auszuloten“, sagt Pötsch.
Klare Worte würden ihm aber sicher auch helfen, die Kritiker unter den Aktionären zumindest leiser werden zu lassen. Doch wegen der laufenden Ermittlungen der Behörden in den USA und einer vom Gericht in San Francisco verhängten Nachrichtensperre meidet VW bisher jegliche Aussagen mit Details und Inhalten.
Deshalb wird die jüngste Terminverschiebung in den USA Pötsch ganz besonders gewurmt haben. Nicht nur, dass die erhoffte Einigung jenseits des Atlantiks damit weiter auf sich warten lässt. Auch auf der Hauptversammlung wird Pötsch daher bei Fragen zu den Hintergründen des Skandals auf laufende Ermittlungen verweisen und stillschweigen müssen.
Trotz aller Kritik dürfte Pötschs offizielle Wahl in den Aufsichtsrat nur eine Formalie sein. Im vorigen Oktober war er zunächst nur aus Zeitnot per Gericht ins Gremium bestellt worden. Sein Renommee als Kapitalmarkt- und Automobil-Kenner ist auch bei den meisten Kritikern unbestritten.