Rechtsexperte: Russland verletzt Völkerrecht
Berlin (dpa) - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und US-Präsident Barack Obama sind sich einig: Russland verstoße in der Krise auf der Krim gegen das Völkerrecht. Das glaubt auch Georg Nolte, Professor für Völkerrecht an der Berliner Humboldt-Universität.
Problematisch seien die russischen Soldaten auf der Halbinsel.
Frage: Das russische Parlament hat einem Militäreinsatz in der Ukraine zugestimmt, Präsident Wladimir Putin hat den Marschbefehl aber nicht öffentlich gegeben. Ist das eine Drohung, die gegen das Völkerrecht verstößt?
Antwort: Laut UN-Charta darf kein Mitgliedstaat der Vereinten Nationen Gewalt anwenden oder auch nur androhen, die sich gegen das Territorium oder die politische Unabhängigkeit eines anderen Staates richtet. Dieses grundlegende Verbot steht in Artikel 2, Ziffer 4 und gilt auch für Russland. Eine parlamentarische Ermächtigung bedeutet aber nicht schon für sich genommen eine verbotene Androhung von Gewalt, sondern nur in Verbindung mit weiteren Äußerungen. Auf der Krim sind allerdings schon Taten gefolgt.
Frage: Wie ist die erhöhte Militärpräsenz Russlands auf der Krim zu bewerten? Moskau hat Verträge mit der Ukraine geschlossen, die russische Militärs auf der Krim erlauben.
Antwort: Russland hat nur auf einem kleinen und vertraglich genau bezeichneten Gebiet in Sewastopol ein Recht auf militärische Präsenz. Eine Besetzung anderer Teile der Krim durch russische Truppen ist nicht durch Verträge mit der Ukraine gedeckt, sondern stellt einen Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN-Charta dar.
Frage: Putin hat erklärt, er wolle die ethnischen Russen auf der Krim schützen. Wie bewerten Sie dieses Argument als Völkerrechtler?
Antwort: Laut UN-Charta darf ein Staat nur dann Gewalt anwenden, wenn er sich selbst verteidigt oder wenn er durch den Sicherheitsrat ermächtigt wird. Im Fall Kosovo haben NATO-Staaten im Jahr 1999 allerdings ohne Ermächtigung in einer Bürgerkriegssituation militärische Gewalt angewandt, um eine „humanitäre Katastrophe“ zu verhindern. Einige Völkerrechtler rechtfertigten damals die NATO-Operation mit der gestiegenen Bedeutung, Menschenrechte zu schützen. Diese Rechtfertigung ist jedoch bei vielen Staaten und anderen Völkerrechtlern auf Widerspruch gestoßen und deshalb nicht allgemein anerkannt. Sie wäre auf den Fall Krim und Ukraine jetzt ohnehin nicht anwendbar. Denn hier ist keine unmittelbare Bedrohung eines Teils der Bevölkerung erkennbar.
ZUR PERSON: Der 54 Jahre alte Georg Nolte lehrt als Jura-Professor am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht der Berliner Humboldt-Universität. Er ist seit 2007 Mitglied der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen.