Report: „Ich musste etwas tun“ - Attentäter vor Gericht
Frankfurt/Main (dpa) - Der schlaksige junge Mann auf der Anklagebank gibt sich zum Prozessbeginn geständig. Ja, er habe zwei US-Soldaten mit Kopfschüssen aus nächster Nähe getötet. Warum, kann er dem Staatsschutzsenat und der Bundesanwaltschaft aber am ersten Verhandlungstag bis in den späten Nachmittag hinein nicht plausibel erklären.
„Ich musste etwas tun und habe geglaubt, dass es keine Alternative dazu gibt“, sagt der 21-Jährige im Kosovo geborene Attentäter am Mittwoch vor dem Frankfurter Oberlandesgericht. Ein Video habe diesen psychischen Ausnahmezustand bei ihm verursacht, berichtet der Mann mit dem jungenhaften Gesicht und der leisen Stimme. Darin vergewaltigen US-Soldaten scheinbar eine junge muslimische Frau.
„Ich war überzeugt, dass das, was ich in dem Video gesehen habe, in Afghanistan hilflosen Menschen angetan wird“, sagt Arid Uka mit tränenerstickter Stimme. Und so machte er sich am Morgen des 2. März auf zum größten deutschen Flughafen, den er von einem Aushilfsjob bei der Post kannte. Im Rucksack und der Bauchtasche eine Pistole, 22 Patronen und zwei Messer.
Er schoss wahllos auf die US-Soldaten, die auf dem Weg nach Afghanistan waren. Zwei junge Männer starben, zwei andere konnten nur mit Notoperationen gerettet werden - einer von ihnen ist noch immer auf einem Auge blind. Als er auf den Kopf eines fünften Soldaten zielte, verklemmte sich ein Schuss - der Mann blieb unverletzt und Uka wurde kurz darauf im Flughafen festgenommen. Es war der erste islamistische Anschlag auf deutschem Boden - die genauen Motive des Einzeltäters bleiben aber am ersten Verhandlungstag vage.
Die Bundesanwaltschaft spricht von „einer gewissen Tendenz zur Bagatellisierung“, der Vorsitzende Richter des Frankfurter Staatsschutzsenats von „beschönigendem Singsang“. Der Angeklagte in einem legeren weißen Hemd wird von vielen aus seinem Umfeld als der nette Junge von nebenan beschrieben. Er absolvierte ein freiwilliges Soziales Jahr bei einem Pflegedienst, dem grünen Halbmond. Er erzählt am ersten Verhandlungstag, wie er sich immer mehr in die Welt von Computerspielen und Islam zurückzog, als er in der Schule absackte.
Dass er sich von extremistischer islamistischer Propaganda blenden ließ, so sagt Arid Uka, könne er sich nicht mehr erklären. „Ich verstehe mich selbst nicht.“ Er habe im Islam Halt gesucht. Als Grund nennt er vor allem private Probleme und Depressionen. „Die Terroranschläge vom 11. September habe ich immer verurteilt, weil das mit dem Islam eigentlich gar nichts zu tun hatte.“
Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt fanden in ihren mehrmonatigen Ermittlungen keinen Hinweis, dass der 21-jährige, im Kosovo geborene Frankfurter von Terroristen wie Al-Kaida angeworben wurde, zu deutschen Terrorzellen wie der Sauerlandgruppe Kontakt hatte oder einen Aufenthalt in einem Terrorcamp plante.
Geht von solchen Attentätern, die sich in Deutschland in den eigenen vier Wänden vor dem Computer radikalisieren, eine neue Gefahr aus? Hamburgs Verfassungsschutzchef Manfred Murck meint ja. Er sieht eine wachsende Bedrohung durch Einzeltäter, die sich selbstständig radikalisieren. „Wir müssen immer stärker ins Kalkül ziehen, dass sich Leute losgelöst von Gruppenprozessen und gemeinsamen Planungen wie Amokläufer verhalten können“, sagt Murck der dpa zum Jahrestag der Anschläge in den USA vom 11. September und scheint damit den Angeklagten von Frankfurt zu beschreiben.
Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) stellt fest: „Es gibt Leute, die sich selbst radikalisieren, zu Terror-Camps gehen und wieder zurückkommen.“ Daran hat Arid Uka nach eigenen Worten auch einmal gedacht: „Ich wollte Leuten helfen und hatte mit dem Gedanken gespielt, nach Afghanistan zu gehen.“ Mehr aber nicht. Und kurz zuvor: „Wenn ich an dem Tag keine Soldaten getroffen hätte, wäre auch nichts passiert.“ Bis zum nächsten Tag hätte er sich sicher wieder gefangen, glaubt der Angeklagte.