Report: Neue Angst bei Ägyptens koptischen Christen
Kairo (dpa) - Iskandar Toss, ein 60-jähriger Friseur, wurde erschossen und enthauptet. Dann wurde seine Leiche an einen Traktor gebunden und durch das Dorf Delga in der oberägyptischen Provinz Minja gezogen.
Am Tag darauf hingen Islamisten seine Leiche im Dorf auf.
Toss ist einer von rund einem Dutzend koptischen Christen, die seit dem vergangenen Mittwoch in Ägypten getötet wurden. Nachdem Sicherheitskräfte brutal die Lager zerschlagen hatten, in denen Muslimbrüder für die Wiedereinsetzung des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi protestierten, griffen Islamisten Kirchen und Häuser von Christen an.
In Minja sei es noch immer gefährlich, die Drohungen gegen Christen hielten auch eine Woche nach den blutigen Razzien an, sagt der Aktivist Mina Thabet. Er lebt in Kairo und hat die Organisation Maspero Jugendunion gegründet. In Ägypten ist rund jeder Zehnte der 80 Millionen Einwohner Christ, diskriminiert fühlen sie sich seit Jahrzehnten. Doch nachdem die Islamisten infolge der Revolution und des Sturzes von Husni Mubarak 2011 an die Macht gekommen waren, häuften sich die Angriffe.
Auf von Islamisten betriebenen TV-Kanälen werden Hassreden verbreitet, seit der aus der Muslimbruderschaft stammende Mursi im Juni 2012 als Präsident das Ruder übernahm. „Unter Mubarak war die Situation übel, wurde schlimmer unter dem Militärrat, und der schrecklichste Teil begann mit der Amtsübernahme Mursis“, sagt Thabet.
Neuen Schub habe die Gewalt nach der Absetzung Mursis durch die Armee am 3. Juli bekommen. Aus Thabets Sicht sind die Angriffe auch eine Art Bestrafung für die Christen, die hinter den Sicherheitskräften Schutz suchen. Seit vergangenem Mittwoch wurden nach Angaben von Aktivisten mindestens 40 Kirchen angegriffen, die Hälfte von ihnen brannte komplett ab. Islamisten attackierten auch Wohnhäuser und Geschäfte christlicher Besitzer, entführten mindestens sieben Menschen.
„Christen bezahlen den Preis dafür, dass sie ihr Recht auf Protest ausüben“, sagt Ishak Ibrahim, Forscher der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte. Der Papst der Kopten, Tawadros II., hatte schon vor dem Sturz Mursis wiederholt seine Unterstützung für Verteidigungsminister Abdelfattah al-Sisi bekundet. Vergangene Woche sprach er sich für die Sicherheitskräfte und ihren „Kampf gegen den Terrorismus“ aus.
Laut Forscher Ibrahim hat die Regierung versagt, weil sie keine Maßnahmen ergriff, um die Angriffe zu verhindern. Nach wie vor, so sein Eindruck, würden die Kirchen kaum bewacht oder beschützt. Vorkehrungen gab es am Montag indes in der Stadt Assiut. Augenzeugen berichten von Sicherheitskräften, die in der Innenstadt mit zehn bewaffneten Fahrzeugen patrouillierten, Kirchengebäude absicherten und Ladenbesitzer aufforderten, sich an die Ausgangssperre zu halten.
Aber auch die Zeichen anhaltender Gefechte blieben offensichtlich, mit brennenden Autos mitten auf der Straße, zerstörten Geschäften und Pro-Mursi-Graffitis. „Ägypten ist islamisch“, hat jemand auf die Wand einer Kirche geschmiert. „Konfessionsgebundene Gewalt ist nichts Neues in Ägypten, aber das ist eine neue Dimension“, sagt Ibrahim.
Al-Sisi, der das Ruder im Staat übernommen hat, ordnete jüngst an, dass alle Kirchen, die im vergangenen Monat beschädigt wurden, repariert und wiederaufgebaut werden müssten. Den Christen reicht das aber nicht. Al-Sisi hätte mehr Unterstützung in seiner jüngsten Rede zusichern müssen, findet Thabet. Er habe keine Botschaft gefunden, die Christen Sicherheit gebe, sagt der Aktivist. „Der Staat hat die Christen immer noch nicht auf seiner Prioritätenliste.“