Report: Rohe Gewalt nach dem friedlichen Protest
Kairo (dpa) - Die blonde Fotografin weiß nicht, wie ihr geschieht, als sich auf einer Straße neben dem Tahrir-Platz plötzlich eine Gruppe von Anhängern der ägyptischen Regierungspartei auf sie stürzt und ihr die Kamera aus der Hand reißen will.
Mitglieder einer Bürgerwehr aus dem Viertel kommen ihr zu Hilfe. Sie zerren sie in eine kleine Nebenstraße und bringen sie in Sicherheit.
In Kairo herrscht Stimmung wie bei einer Treibjagd. Anhänger der Nationaldemokratischen Partei von Präsident Husni Mubarak haben es auf ausländische Journalisten abgesehen. Und sie ersuchen die Mubarak-Gegner vom Tahrir-Platz zu vertreiben, auf dem sie seit dem 25. Januar kampieren, um den Präsidenten zum Rücktritt zu zwingen.
„Verschwindet, ihr Scheiß-Ausländer“, ruft eine Gruppe von Schlägern hinüber zu einer Gruppe von Journalisten. Plötzlich galoppieren Dutzende von Männern mit Pferden und Kamelen auf den Platz, mitten in die Menge der Demonstranten hinein. Mit Stöcken und Eisenstangen schlagen sie auf die Köpfe der Menschen, die um sie herum auseinanderstürmen.
„Es war wie ein Kavallerieangriff mitten in der Stadt“, sagt ARD-Hörfunkreporter Martin Durm, der auf dem Platz beschimpft wird, sobald er sein Mikrofon auspackt. Er und seine Kollegin, die ARD-Korrespondentin Esther Saoub räumen später sogar ihr Büro am Nil-Ufer, nachdem Schläger versucht haben, in das Gebäude einzudringen, in dem auch der Nachrichtensender Al-Arabija sein Studio hat.
Ein Reporter fragt einen der Angreifer, die mit Steinen auf die Demonstranten werfen, warum er das tut. „Wir sind gekommen, um diese Protestgruppen vom Tahrir-Platz zu vertreiben“, sagt er. Doch mehrere tausend Demonstranten harren trotzdem bis zum Abend aus. „Wir gehen hier nicht weg“, sagt einer von ihnen, „komme, was wolle“.
Am Abend werfen die Angreifer Brandbomben. Die Armee gibt Warnschüsse ab. Die NDP-Anhänger ziehen sich zurück. Doch es scheint nur ein taktischer Rückzug zu sein. Sie bleiben weiter in den Nebenstraßen und ziehen in den angrenzenden Vierteln durch die Straßen. Inzwischen werfen auch die Anti-Mubarak-Demonstranten mit Steinen. An der „Front“ zwischen den beiden Gruppen beginnt es zu brennen.
„Es ist ganz klar, dass die NDP-Leute die Gewalt angezettelt haben, die Mubarak-Gegner haben sich nur gewehrt“, sagt ein Augenzeuge. Er ist, wie die Mehrheit der Ägypter, entsetzt über die Brutalität, mit der sich die Anhänger des Regimes an die Macht klammern.
Über die Versuche verschiedener Akteure, den Konflikt zwischen der alten Garde und den Oppositionsparteien auf politischem Wege zu lösen, spricht am Mittwochabend niemand. Die Muslimbrüder veröffentlichen eine Erklärung, in der sie zu neuen Protesten gegen „den Kopf des Regimes“ aufrufen; eine Gruppe von Intellektuellen schlägt praktische Schritte vor, um möglichst reibungslos Neuwahlen und eine Verfassungsreform herbeizuführen. Mehrere Oppositionsparteien fordern erneut den sofortigen Rücktritt Mubaraks. Doch das interessiert jetzt niemanden. Der wohl entscheidende Kampf um die Macht tobt auf der Straße. Es ist ein schwarzer Tag in der Geschichte der ägyptischen Republik.