Report: Sehnsucht nach der Perfektion im Münchner Westen

München (dpa) - Am engmaschigen Zaun weht die bayerische Rauten-Flagge, daneben wirbt ein Sicherheitsunternehmen mit dem Slogan „Sehnsucht nach Perfektion“. Zwei Meter daneben steht im Wind ein Mann mit langem zotteligem Haar.

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Moritz Drotleff ist schon seit Stunden im Einsatz. Auf seiner neongelben Weste ist mit Filzstift „Mo“ geschrieben. Der 24-Jährige vom Ammersee ist Schichtleiter in einem der vielen Münchner Flüchtlings-Quartiere, seine Arbeit als selbstständiger Webentwickler lässt er auf unbestimmte Zeit ruhen.

Nach dem gewaltigen Ansturm am Wochenende wurde auch die Unterkunft in der Richelstraße, in der Mo seit mehr als einer Woche als Freiwilliger mithilft, kurzfristig nochmals vergrößert. Etwa 1200 Flüchtlinge haben inzwischen in der schlichten Halle Platz, gut 1000 in den Zelten drum herum. Für sie alle ist die Richelstraße eine Art Transitstation, sie bekommen Kleidung, warmes Essen, werden medizinisch auf ihre „Massenunterkunftstauglichkeit“ gecheckt, dann geht's weiter in andere Unterkünfte.

Wie viele Menschen am Wochenende insgesamt in der Richelstraße ankamen, hat keiner so genau gezählt. Mo sagt: „Es waren deutlich mehr als an den Tagen vorher.“ Die Regierung von Oberbayern nennt keine genauen Zahlen. Ein Sprecher des Medizinischen Katastrophen-Hilfswerks sagt, dass in der Nacht zum Sonntag bis 3.00 Uhr noch Flüchtlinge in der Transitstation warten mussten, bis anderswo ein Schlafplatz aufgetrieben wurde.

Auch am Sonntagnachmittag hat Mo gut zu tun: Im Minutentakt spucken Busse vom Großparkplatz nebenan neue Flüchtlinge aus. „Welcome to Germany“, steht in bunten Lettern über dem Eingang der ehemaligen Lagerhalle geschrieben.

„Soll ich Menschen oder nur Flüchtlinge zählen?“, fragt Friederike, eine Helferin, ihren Schichtleiter. „Menschen oder Gäste“, korrigiert Drotleff. „Wir nennen unsere Flüchtlinge hier Gäste“, erklärt er, „wir mögen unsere Euphemismen hier.“ Ansonsten legt er Wert darauf, dass keine Schaulustigen in die Halle reinkommen. „Wir sind stolz darauf, dass wir uns unsere Insel hier noch erhalten können, dass wir im Gegensatz zu anderen Unterkünften noch kein Zoo sind“, begründet er die strengen Einlassvorschriften. Wer helfen will, muss sich an einem Biertisch am Eingang registrieren lassen.

Eine ältere Frau kommt mit einem alten, blinden Mann am Arm auf Mo zu. „Mein Mann ist Iraker und will gerne dolmetschen“, sagt sie. Drei Frauen mit Kopftuch bringen große Taschen mit Kleidern und fragen, wo sie mit anpacken können. Drotleff freut sich über jede Hilfe. „Jetzt geht die Schule wieder los, dann müssen wir gucken, wie es weitergeht“, sagt er. Seine Befürchtung: Viele Ehrenamtliche könnten dann wieder von ihren alltäglichen Verpflichtungen eingeholt werden.

Am Samstag, als am Münchner Hauptbahnhof erneut Tausende neue Flüchtlinge ankamen, seien kurzfristig 60 Pioniere der Bundeswehr ins Notquartier beordert worden, sagt Drotleff. Sie hätten Bäume auf der angrenzenden Grünfläche gerodet, mehr Platz geschaffen. Im Außenbereich stehen jetzt Tische und Bänke - „unser Biergarten“, scherzt er. Flüchtlinge essen dort Chili con Carne mit Toast - ehe es für sie in eine Erstaufnahmeeinrichtung weitergeht.

Im Schnitt bleiben die Flüchtlinge zwischen 20 Minuten bis zu mehreren Stunden an der Richelstraße. Und nutzen die Zeit auch, um ihr Handy aufzuladen. Für viele war es auf der Flucht das wichtigste Hilfsmittel. An einer Ladestation können die Handys wieder mit Strom versorgt werden, auf einem Papier wird in arabischen Schriftzeichen darauf hingewiesen. Drahtloses Internet gibt es dagegen nicht. „Wir arbeiten dran“, sagt Drotleff.

Vor den Dixi-Klos spielen Helfer mit Flüchtlingen Fußball. Davor ein Schild: „Bitte keine Kleider spenden“. „Wir bekommen sie nicht mehr sortiert“, sagt Drotleff, „aber das kann sich stündlich ändern.“ Wie so vieles.