Report: Tränen und Umarmungen nach dem Höhlendrama
Berchtesgaden (dpa) - Strahlend liegen sie sich in den Armen. Die Retter haben den Helm noch auf, den Klettergurt um, die Kleidung ist nach Tagen in der Höhle schlammverschmiert.
Manchen stehen Tränen in den Augen: Johann Westhauser ist gerettet. Tagelang haben die Helfer rund um die Uhr bis zur Erschöpfung gekämpft, um den schwer verletzten Höhlenforscher aus 1000 Metern Tiefe zu bergen. Er ist einer der ihren, der Kreis der extremen Höhlenforscher und -retter ist europaweit klein. Zuversicht, Teamgeist und mentale Stärke haben sie alle getragen. Westhauser eingeschlossen.
Ganz am Schluss, am Donnerstagmorgen, gab es noch einmal eine Nervenprobe. Stunde um Stunde verzögerte sich die Rettung. Gerade in der Schlussphase wollten die Retter nichts riskieren - lieber eine Pause mehr. Dann, um 11.44 Uhr, kommt die erlösende Nachricht: Westhauser ist gerettet, gut 274 Stunden nach seinem Unfall in der Riesending-Schachthöhle, tief in den Berchtesgadener Alpen. Endlich Tageslicht. „Der Verunglückte ist an die Oberfläche gebracht worden und wird notfallmedizinisch versorgt“, heißt es in einer ersten SMS der Bergwacht.
Dass die beispiellose Aktion klappt, war keineswegs sicher. Bis in die ersten Tage der Rettung hinein habe es Zweifel gegeben, „ob das gelingen kann“, räumt der Vorsitzende der Bergwacht Bayern, Norbert Heiland, jetzt ein. An den elf Tagen zuvor hat darüber niemand gesprochen. „Ich denke, dass man davon sprechen kann, dass in den vergangenen Tagen hier am Untersberg ein Stück alpine Rettungsgeschichte geschrieben worden ist.“
Bei einem Steinschlag hatte Westhauser am Pfingstsonntag in 1000 Metern Tiefe ein Brocken am Kopf getroffen, der Helm konnte den heftigen Schlag nur dämpfen. Der Forscher erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma - und hätte eigentlich sofort auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Doch bis der Transport aus der Tiefe beginnen konnte, vergingen Tage. Erst am vergangenen Freitag konnten die Helfer ihn auf eine Trage legen und starten. Sechs lange Tage waren sie mit ihm unterwegs.
Westhausers Kopf war beim Transport geschützt, Bilder aus der Höhle zeigten ihn mit einem weißen Helm. Zwar bereiteten Dutzende Helfer den langen Weg nach oben bestens vor: Neue Seile wurden gezogen, Metallstifte als Tritte in den glitschigen Fels gebohrt, zusätzliche Haken gesetzt. Sie hielten Gischt aus Wasserfällen mit Planen ab, räumten loses Geröll weg. Aber Steinschlag ist nie ausgeschlossen.
Es war eine beispiellose Hilfsaktion. „Vergessen Sie alles, was Sie bei Rettungseinsätzen je erlebt haben“, hatte der Höhlenretter Norbert Rosenberger schon zu Beginn gesagt. Binnen kürzester Zeit, teils schon einen Tag nach dem Unglück, reisten Teams aus verschiedenen Ländern an: Deutsche und Österreicher, dann Schweizer und Italiener. Am Schluss stießen Retter aus Kroatien dazu.
Europaweit gibt es nur wenige Retter, die dieser Höhle gewachsen sind. Ein Land alleine hätte gar nicht genug Einsatzkräfte gehabt. Und: Die meisten Helfer arbeiteten ehrenamtlich. Einige spezialisierte Ärzte aus mehreren Ländern reisten an. Bis ein Mediziner zu dem Verletzten vordringen konnte, vergingen vier Tage. Aber erst Medikamente machten den Transport möglich.
Im Einsatz waren mehrere hundert Helfer, darunter allein 202 Höhlenretter. Bei der Pressekonferenz nach der Rettung applaudieren auch die Journalisten, manche stehen auf. Das gibt es nicht oft.
Westhauser hat die Augen geschlossen, als er oben ankommt. Durch ein Spalier reichen die Helfer die Trage mit dem Verletzten weiter. Zuerst zu der eigens eingerichteten mobilen notfallmedizinischen Station. Dann zum Helikopter, der mit laufenden Rotorblättern wartet.
Der 52-Jährige sei „wohlbehalten in der Klinik eingetroffen“, sagt Heiland später. „Damit haben wir das wesentliche Ziel unserer Rettungsaktion erreicht.“ Wie er reagiert hat, was er gesagt hat - darüber schweigt die Bergwacht. Auch darüber, in welcher Klinik er jetzt ist, ob er auf einer Intensivstation liegt, ob seine Familie bei ihm ist. Westhauser braucht jetzt Schutz - auch vor der Öffentlichkeit. Denn soviel dürfte klar sein: Ein langer Weg der Genesung liegt vor ihm.
Auch die Helfer werden noch lange mit dem Einsatz beschäftigt sein. Wenn die Anspannung abfällt, wird die Belastung oft erst deutlich. Und auch ihre Angehörigen waren in Sorge. Die Retter wollen jetzt erst einmal nach Hause. Einsatzleiter Klemens Reindl: „Wir freuen uns auf unsere Familien, die uns hoffentlich noch wiedererkennen.“